Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
Blickwinkel berücksichtigen zu können.
Dass Nessus so einfach zugestimmt hatte, ohne Kirsten eine einzige Frage zu stellen, verwirrte sie immer noch. Und das war nicht das Einzige, was ihr durch den Kopf ging: Wo steckte Nessus jetzt? Warum hatte er sich dafür entschieden, sie zu begleiten? Er hätte doch mühelos arrangieren können, dass sie alle an Bord eines dieser Getreidefrachter, die ständig zwischen NSW 4 und Hearth hin- und herpendelten, mitfuhren. Es kam zwar selten vor, dass Kolonisten Hearth aufsuchten, aber beispiellos war es auch nicht gerade. Und wer auch immer auf eine solche Reise ging – zumeist waren es Mitglieder des Selbstverwaltungsrates von Arcadia –, tat das an Bord dieser Frachtschiffe.
Auf einer nahe gelegenen Stepperscheibe erschien jetzt Nessus. Mit schnellen Schritten kam er auf sie zu. Trotz der zahlreichen Kolonisten, die sich hier versammelt hatten, zitterte der Bürger kaum. Formlos nickte er ihnen mit einem Kopf zur Begrüßung zu. Zu Kirstens Überraschung schloss sich Nessus unaufgefordert der versammelten Gruppe an. Nachdem er kurz mit den Gästen von Omar und Eric gesprochen hatte, kam er auf Kirsten zu. Sie stellte ihm ihre Familie vor, und dann unterhielt sich Nessus zwanglos mit ihren Eltern und ihrem Bruder, als würden sie einander schon seit Ewigkeiten kennen.
Erst jetzt begriff Kirsten, dass Nessus wieder eine manische Phase durchlebte. Hatte er all seinen Mut zusammengenommen, nur um den Familien seiner Mannschaft entgegentreten zu können? Das erschien Kirsten wirklich äußerst unwahrscheinlich. Während sie noch darüber nachdachte, beugte Nessus einen seiner Hälse und strich Rebecca sanft über das seidige blonde Haar. »Was magst du denn, Kleine?«, fragte er.
Plötzlich sah Kirsten aus dem Augenwinkel eine unerwartete Bewegung. Ein lautes »Määh!«, bestätigte ihre Vermutung: Rebeccas Haustier, ein zahmes Lamm namens Schultz, kam ungestüm auf sie zugestürzt. Seine Leine zog es hinter sich her, und nun wurde es noch schneller: Ganz offensichtlich konnte Schultz es kaum erwarten, mit Rebecca und ihrem neuen Freund zu spielen. Laut klapperten seine Hufe auf dem rauen Untergrund. Wie so oft hatte er das Maul weit aufgerissen, die Zunge hing heraus. Wie oft bissen sich Tiere wohl auf die Zunge, bis sie gelernt hatten, dass es vielleicht keine so gute Idee war, so durch die Gegend zu rennen?
Nessus wirbelte herum, wollte schon fliehen, und dann begriff Kirsten, was Nessus da gerade sah: ein großes, kräftiges Tier, das geradewegs auf ihn zugestürzt kam. Hearth war zu überbevölkert, um dort selbst kleine, harmlose Tiere halten zu können. Sofort trat Kirsten vor und hob das Lamm mühelos auf – Schultz war jetzt fast zwei Fuß lang und schien hauptsächlich aus Beinen zu bestehen. »Guter Junge«, säuselte sie. Schultz wand sich in ihrem Griff und wedelte heftig mit dem Schwänzchen. Dann leckte er Kirsten über die Wange. »So ist’s brav.« Mit langsamen Bewegungen kraulte sie ihn zwischen den Ohren. »Ja, so ist’s gut, was? So ist’s gut.«
Omars Frau Evelyn (deren Tunika in Pastelltönen alle Farben des Regenbogens aufwies – sie wies wirklich sehr deutlich darauf hin, dass sie gebunden war) flüsterte ein wenig zu laut: »Wir müssen wirklich einen Mann für Kirsten finden.« Kirsten errötete, als sie sich vorstellte, wie Eric angesichts dieser Bemerkung grinste.
»Ich bitte um Verzeihung, Nessus«, sagte Carl. »Ich bring den Kleinen weg.« Es folgten einige hastige Bewegungen – halb verabschiedende Umarmung, halb Kirstens Versuch, ihrem Bruder das Lamm zu übergeben, das sich immer noch nach Kräften wand. Zum Abschied rief er Kirsten über die Schulter hinweg zu: »Und komm nicht in Schwierigkeiten!«
Wenn du wüsstest, dachte sie.
Nessus hatte sich mittlerweile wieder den restlichen Kolonisten zugewandt, doch sein Zittern war jetzt deutlich heftiger geworden. »Ich werde jetzt vorgehen. Kommt nach, sobald ihr so weit seid.« Mit einem Schädel blickte Nessus dem Lamm hinterher, so lange, bis er dank der Stepperscheibe verschwand. Vermutlich hatte er sich unmittelbar an Bord der Explorer teleportieren lassen.
Kirsten verabschiedete sich noch schnell von allen und folgte Nessus dann. Der Bürger saß auf der Brücke, und immer noch zitterte er am ganzen Leib. »Das mit Schultz tut mir leid. Er wollte nur spielen. Der hätte Ihnen nichts getan.«
»Magst du Tiere?« Nessus’ Stimme klang auffallend monoton. Er war immer noch
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