Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
verbringen. Wenn Nessus es mit Millionen und Abermillionen von Kolonisten zu tun hatte, wollte er am liebsten immer noch sofort fortlaufen und sich verstecken. Unter ihnen zu leben war die bestmögliche Vorbereitung auf eine Rückkehr in den Von Menschen Besiedelten Weltraum. Nessus hatte nicht die Absicht, viele Wildmenschen wissen zu lassen, dass er in Wirklichkeit ein Puppenspieler war – und wenn, dann nur, wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ. Nicht einmal mit seinen Agenten wollte er persönlich in Kontakt treten. Und dennoch würden überall rings um ihn zahllose Menschen sein.
Dieser Gedanke verängstigte Nessus.
Eric fand die Display-Steuerung, die dafür sorgte, dass nun eine ganze Wand transparent wurde, und dann konnten sie den gewaltigen Innenraum dieser Fabrikationsanlage einsehen. Nessus sah, dass gerade an sechs Schiffsrümpfen gleichzeitig gearbeitet wurde. Zweifellos musste den Kolonisten diese völlig künstliche Welt zutiefst sonderbar erscheinen. Wie der gesamte Kurs, den Nessus sich zurechtgelegt hatte – und bei dem sich wirklich unvergessliche Anblicke bieten mussten –, hatte auch dieser Zwischenhalt den Sinn, die Kolonisten eine gewisse Ehrfurcht zu lehren. Nessus musste sich auf ihr Pflichtbewusstsein verlassen können, sobald er sie nicht mehr würde begleiten können – und das würde schon bald der Fall sein.
Bei dem Schiffsrumpf, der den Kolonisten am nächsten in der Mikroschwerkraft schwebte, handelte es sich um eine Zelle Mark Vier. Diesen Schiffstypus kannten die Kolonisten als Getreidetransporter. Es war kein Zufall, dass sich gerade dieses Schiff in der Nähe des Sichtfensters befand: Es verbarg den Blick auf die Produktionsfläche … die fast leer stand. Nessus hatte erlebt, dass genau dieselbe Halle vor Schiffen fast geborsten war. Natürlich gab es den Exportmarkt nicht mehr: Die Flotte würde schon bald all die zahlreichen Spezies hinter sich lassen, die zu töricht waren, nicht umgehend vor der Explosion des galaktischen Zentrums zu fliehen.
»Wäre es möglich, hier herumgeführt zu werden?«, fragte Eric. Nicht für einen Moment wandte er den Blick von den Produktionsanlagen ab.
»Natürlich«, versprach Nessus. Wie aufs Stichwort erschien ein leitender Angestellter von General Products. Er trug seine Mähne in dichten, eng anliegenden Zöpfen. Das Haar hatte eine auffallend gelbbraune Färbung, die fast an das Aschblond mancher Kolonisten erinnerte. Sein Mehrzweckgürtel und die wenigen Schmuckstücke an seiner Kleidung verrieten deutlich, dass seine ganze Treue der Firma galt. »Hier ist auch schon jemand, der eure Fragen beantworten kann.«
Kurz begrüßte Nessus den Neuankömmling und stellte ihm auch die Kolonisten vor – doch dieser Mitarbeiter von GP sprach keinerlei Englisch. »Ich habe einen Translator mitgebracht«, erklärte Nessus. »Den werde ich jetzt einschalten.«
»Hallo«, sagte der Angestellte. »Mein Name ist … und ich werde Euch jetzt durch unsere Fabrik führen.«
Bürgernamen ließen sich nur selten übersetzen. Wie sollten die Kolonisten diesen GP-Mitarbeiter wohl ansprechen? Nessus fiel sofort eine passende Bezeichnung ein – was nicht weiter verwunderlich war, nachdem er erst kürzlich wieder in die Kultur der Wildmenschen zurückgestoßen worden war. Der Gedanke belustigte Nessus, und angesichts dieser gewaltigen Gefahren konnte er jede Form der Belustigung gut gebrauchen. »Wir werden Sie ›Baedeker‹ nennen.«
»Gut, also ›Baedeker‹. Beginnen möchte ich mit einem allgemeinen Überblick über unsere verschiedenen Tätigkeitsbereiche. Wir werden uns die Hauptproduktionsstätten anschauen, an denen …«
Mit weit aufgerissenen Augen blickte sich Kirsten in dieser gewaltigen Kugel um, die Nessus so beiläufig als ›Produktionsanlage‹ bezeichnete, während Kirsten selbst darin zunächst einen kleinen Mond gewähnt hatte. Omar war sehr schweigsam. Kirsten vermutete, dass er ebenso beeindruckt war wie sie. Eric hingegen schien vor lauter Fragen, die er unbedingt stellen wollte, beinahe zu platzen. Aber wenn er nicht hier und jetzt eine Gewohnheit ablegte, die schon sein ganzes Leben bestimmt hatte – ›Einen Bürger unterbricht man nicht!‹ –, dann würden diese Fragen unbeantwortet bleiben. Für den Translator war einköpfige Sprache offenbar ausreichend, und Baedeker legte nicht einmal Pausen ein, um Luft zu holen.
»… mit dem Modell Mark Zwo selbstverständlich vertraut. Um eine entsprechende Zelle
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