Ringwelt 11: Die Flotte der Puppenspieler
Seiten wird dieser Platz von Arcologys gesäumt – für Hearth-Verhältnisse recht bescheiden, aber jede davon wäre für euch wohl eine Großstadt.« Dann deutete Nessus auf die vierte Seite des Platzes, auf die sie gerade zugingen. »Und das ist ein Unterhaltungs- und Einkaufszentrum.«
Kirsten wollte gerade eine Frage stellen, als ein unverkennbares Trällern ihr das Wort abschnitt. »Entschuldigt«, sagte Nessus. Er schob einen Kopf in die Tasche seines Mehrzweckgürtels. Einige gedämpfte, musische Laute waren zu hören, dann tauchte Nessus’ Kopf wieder auf. »Das war das Büro des Vizeministers. Er wird uns in etwas weniger als einer Stunde empfangen.«
Kirstens Gedanken überschlugen sich. In einer Reise nach Hearth hatte sie die bestmögliche Hoffnung darauf gesehen, die Wahrheit über die Vergangenheit der Kolonisten herauszufinden. Umgeben von derart vielen Bürgern und so wenig Zeit – welche Chance hatte sie wohl, hier auf das HerdenNetz zuzugreifen? Ob sie einen Augenblick finden würden, in dem Nessus sie nicht überwachte? Es musste jetzt passieren. Nachdem ein ranghoher Regierungsmitarbeiter eigens seinen Zeitplan geändert hatte, um diese drei Kolonisten so rasch wie möglich wieder abreisen zu lassen, konnte Kirsten wirklich nicht mit einem zweiten Besuch hier rechnen.
»Viele Künstler stellen in der Hauptpromenade ihre Werke aus«, fuhr Nessus mit seiner Erklärung fort. »Klassische Holostatuen sind immer noch am üblichsten, aber in letzter Zeit erfreuen sich auch dynamische Holoformen steigender Beliebtheit. Ich schätze ja besonders …« Mit beiden Mündern gleichzeitig stieß er einen trillernden Laut aus. »Es tut mir leid, aber dieser Name lässt sich nicht sinnvoll übersetzen.«
Jetzt wird er wieder manisch, dachte Kirsten. Diese Besprechung steht unmittelbar bevor, und Nessus bereitet sich schon darauf vor.
»… ein Nebeneingang. Natürlich gibt es in der Lobby auch Stepperscheiben, um die einzelnen Geschäfte und Ausstellungsräume zu erreichen. Wir haben noch genug Zeit, um uns ein wenig umzuschauen.«
Als sie einen kleinen Wandvorsprung erreichten, spürte Kirsten plötzlich einen kaum merklichen Druck von vorne. Ein Kraftfeld, um den Wind abzuhalten, entschied sie und drängte sich einfach hindurch und in die dahinter liegende Lobby hinein. Durchscheinende Hologramme schwebten über ihr, einige davon waren abstrakte Kunstwerke, andere allgemein zugängliche Bilddurchlaufverzeichnisse. Dahinrasende stilisierte Schriftzeichen und dazu noch ein Kirsten völlig unvertrautes Vokabular machten die weitaus meisten Beschriftungen für sie unleserlich. Nur wenige ergaben Sinn: Friseursalons, Juweliergeschäfte, Gürtelmacher, Musikalien- und Buchhandlungen, Kunstgalerien, Konzertsäle. Aha! »Nessus?«
Der Bürger blieb stehen. »Was gibt es, Kirsten?«
»Ich würde gerne ein paar Souvenirs kaufen.« Dass Omar sie erstaunt anblickte, ignorierte Kirsten einfach. »Vielleicht ein paar Bildbände.«
Nessus drehte einen Kopf zum nächstgelegenen Verzeichnis. »Folge mir.« Dann verschwand er. Dieses Mal erreichten Omar und Eric die Stepperscheibe, die Nessus gerade aktiviert hatte, noch vor Kirsten.
Sie materialisierten in einem kleinen, äußerst beengten Geschäft. Medienwiedergabegeräte waren in mehreren Reihen entlang der Vorderseite des Geschäfts aufgestellt. Beschriftungen und Illustrationen schwebten über Vorratsbehältern, die vor lauter verkaufsfertig verpackten Medien beinahe überquollen.
»Omar, würde es dir etwas ausmachen, für mich ein Lesegerät auszusuchen?« Dann zwängte sich Kirsten durch die schmalen Gänge – während die anderen Kunden, ausnahmslos Bürger, sie entgeistert anstarrten –, bis sie eine Reihe Vorratsbehälter gefunden hatte, über denen der Schriftzug ›Geschichte‹ schwebte. Aus einer Vielzahl verschiedener Titel wählte Kirsten eine Hand voll münzgroßer Datenscheiben aus. Die meisten davon behandelten ausschließlich Hearth, doch in einigen ging es auch um die Naturschutzwelten und die Kolonisten. Aus anderen Regalen suchte Kirsten dann noch Bücher über Geografie und Kunst heraus.
Nessus war in ein Gespräch mit einem anderen Kunden vertieft – eine Kaskade wilder Musik erfüllte fast den gesamten Laden, als Kirsten wieder zum vorderen Teil des Geschäftes zurückkehrte. Dann legte sie ihre Auswahl an Datenmünzen neben das Medienlesegerät, das Omar in der Zwischenzeit ausgewählt hatte. Während der Verkäufer mit einem
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