Ringwelt 12: Weltenwandler
Was, so fragte sich Sigmund, machte Beo wohl, um von dieser Quelle aus Geld zu erhalten?
»Das dürfte dich interessieren«, sagte Medusa.
Sigmund hob den Kopf; bis eben hatte er zusammengesunken an einem recht verdreckten Schreibtisch gesessen. Er befand sich in einer Lounge, die für ARM-Angehörige während ihrer dienstfreien Stunden gedacht war. Eine ARM-Lounge sah aus wie die andere; Sigmund brauchte einige Sekunden, um sich daran zu erinnern, dass er sich derzeit in London befand. Körperlich hatte er das Gefühl, es sei nach Mitternacht. »Was gibt’s denn?«
Schlangen wanden sich. »Ich habe einen Anruf auf Mary Ortegas Taschencomp abgefangen – von Sharrol Janss.«
Auf der anderen Seite des Raumes saßen zwei ARMs, die gerade dienstfrei hatten; sie hatten die Füße auf einen ramponierten Beistelltisch gelegt und diskutierten lautstark über Rugby. Sie mussten hereingekommen sein, während Sigmund gedöst hatte. Einen Augenblick musste er nachdenken, dann fiel ihm ein, dass Ortega die Babysitterin war, die Sharrol und Beo engagiert hatten. Aber es musste um etwas mehr gehen als nur darum, dass eine Mutter sich nach ihren Kindern erkundigte. »Sprich weiter.«
»Die Systemmeldungen zeigen an, dass der Anruf aus Prosperine stammte.«
Sigmund setzte sich auf. Prosperine in Australien – eine Siedlung, die man nur mit sehr viel Wohlwollen als ›Stadt‹ bezeichnen konnte – lag Carlos Wus Heim im Great Barrier Reef am nächsten. Ein Glasfaserkabel, das mit der Stadt verbunden war, wäre die logischste Art und Weise, Carlos mit Komm-Dienstleistungen zu versorgen. Nicht einmal Carlos konnte einfach eine Funkantenne aus dem Riff herausragen lassen. »Hat Mom etwa nebenbei noch irgendetwas mit Carlos zu tun?«
Medusa lächelte und entblößte dabei ihre Reißzähne. »Wenn ja, dann ist das höchst interessant. Ein Falsch-verbunden-Ping des Computers von Stief-Daddy zeigt, dass er sich ebenfalls dort befindet.«
Was auch immer sie planen mochten, Sigmund wollte sich jegliche Weitschweifigkeit ersparen. Natürlich konnte er den beiden ARMs einfach die Anweisung erteilen, den Raum zu verlassen, oder er konnte auch selbst an irgendeinen anderen Ort gehen …
»Protokoll Gamma«, sagte Sigmund. Sofort wurde der Abhörschild aufgebaut.
Im Unterwasserhaus wimmelte es nur so vor Wanzen, deren Signale über Feathers Komm-Link weitergeleitet wurden. Sigmund konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal heimlich gelauscht hatte – er wusste nur noch, warum er damit aufgehört hatte: Er vertraute Carlos.
Gesteh es dir doch ein! Er hatte aufgehört, weil er Feather und Carlos einfach nicht zusammen sehen wollte.
»Medusa, gibt mir eine Bildübertragung«, forderte Sigmund seine KI-Assistentin auf.
Auf dem Hologramm waren vier Personen zu erkennen. Sie drehten und wendeten sich in einem offensichtlich raumgroßen Schlaffeld, umringt von einem immensen Gewirr abgelegter Kleidungsstücke. Alle hier hatten Körperbemalung angelegt, und dankenswerterweise konnte Sigmund keine Gesichter erkennen, doch diese Bohnenstange dort mit dem Belterkamm musste eindeutig Shaeffer sein.
Und diese energische, geschmeidige Gestalt dort …
Feather rollte sich zur Seite und blickte geradewegs in den Sensor. Sigmund versuchte sich selbst einzureden, das müsse reiner Zufall sein. »Bildübertragung abbrechen.« Seine Stimme zitterte. »Medusa, wann waren Shaeffer und Wu zum letzten Mal zusammen?«
»Soweit wir wissen, nicht mehr, seit Carlos im Jahr ’51 mit einer neuen Lunge aus dem Krankenhaus entlassen wurde«, antwortete Medusa.
Seit drei Jahren nicht mehr. Sigmund musste wissen, ob noch irgendetwas anderes außer einer Orgie sie wieder zusammengebracht hatte. Warum gerade jetzt?
Was Sigmund sich vorstellte, nachdem er nun die Audioübertragung hörte, war sogar fast noch schmerzhafter, als zuschauen zu müssen. Er hörte Stöhnen, spitze Schreie, drängende Forderungen, unverständliches Stöhnen, und dann …
Stille.
»Wir haben das Signal verloren«, erklärte Medusa. »Standard-Störmethode der ARM.«
Endlich ein wenig Diskretion, dachte Sigmund. »Überwach die Wohnung weiter, solange sich Beo und Sharrol dort aufhalten.«
Am Vormittag rief Feather an. »Sigmund, ich habe gerade einen gewaltigen Kajütenkoller. Was hältst du davon, wenn ich nach New York rüberspringe? Carlos hat sich schon hingelegt.«
Für sie und Carlos war es jetzt ein Uhr morgens, und die Berichte, an denen Sigmund gerade
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