Ringwelt 12: Weltenwandler
Aliens aus politischen Erwägungen heraus dieser Sprache dann auch noch jeglichen historischen Kontext genommen hatte … kein Wunder, dass die Linguisten von New Terra so oft nicht weiter wussten.
Eine entsetzliche Existenz lag vor Sigmund: endlose, pedantische Fragen über Ereignisse, die lange vor seiner Geburt stattgefunden hatten. Sigmund erinnerte sich an Belanglosigkeiten und sonderbare Fakten, doch nur die gesamten historischen Aufzeichnungen würden die Bewohner von New Terra zufrieden stellen.
Sigmund zog sich an: Seinen New-Terra-Overall programmierte er auf das gewohnte Schwarz. Das war noch so ein Thema, über das Sven endlos reden konnte: Kleidungsfarben. Sigmund hatte nie Zeit damit verschwendet, über Mode nachzudenken, und er weigerte sich schlichtweg, jetzt damit anzufangen.
Fröhliches Pfeifen aus der Küche unterbrach ihn in seinen düsteren Gedanken. Das war nicht Sven: Der Archivar war völlig außerstande, eine Melodie zu halten. Als Sigmund dann, nachdem er einen Blick durch die Tür geworfen hatte, Svens Cousine erkannte, fühlte er sich ein wenig besser. »Guten Morgen, treue Penelope.«
Penelope Mitchell-Draskovichs war ebenso hochgewachsen wie Sigmund selbst. Sie sprühte stets vor Enthusiasmus und bewegte sich mit der Anmut einer Athletin. Welchen Sport betrieb sie noch so gerne? Fußball? Penelope hatte große blaue Augen, mit denen sie oft und gerne zwinkerte, und rosige Wangen. Sie stellte nie so viele Fragen wie die anderen. Doch bei ihr hätte das Sigmund überhaupt nicht gestört.
»Guten Morgen!«, erwiderte Penelope. »Es wird auch Zeit. Was gibt’s denn heute zum Frühstück?«
Sigmund dachte kurz nach. »Ein Denver-Omelett.« ›Omelett‹ verstand sie, ›Denver‹ natürlich nicht. Sie unterhielten sich, während er alle Zutaten zusammensuchte. (Auf der Erde hätte er sich einfach nur eine Mahlzeit aus dem Synthesizer geholt. Wenn er das Verhältnis der einzelnen Zutaten erst einmal optimiert hatte, wollte er dem Synthesizer eine Probe dieses Essens zukommen lassen.) Sie sprachen über alles mögliche. Über Denver, die Stadt, die sich meilenweit in die Höhe erstreckte. Über die Rockies, über Grizzly-Bären und über das Skifahren.
Hier fuhr niemand Ski. Einen richtigen Winter gab es hier überhaupt nicht, begriff Sigmund schließlich. Das Klima war fast überall gleich: Die Sonnen, die den Polarkreis umrundeten, hatten es für die Landwirtschaft optimiert. Aus unerfindlichen Gründen erfüllte das Sigmund mit Bedauern.
Endlich war das Frühstück fertig. Er schaufelte Penelope eine Portion auf ihren Teller. »Eine Denver-Spezialität für die treue Penelope.«
Svens Cousine erstarrte mitten in der Bewegung, die Gabel in der Hand. »Warum nennen Sie mich immer so? ›Treu‹, meine ich.«
Damit kam das Gespräch auf die Ilias und die Odyssee, auf Mythen, Legenden und Epen, auf Odysseus lange aufgeschobene Rückkehr nach Ithaka und die Tricks, mit denen seine Gemahlin Penelope unerwünschte Avancen verschiedener Verehrer abwehrte …
»Hier riecht’s aber gut«, sagte Sven.
Sigmund hatte nicht einmal bemerkt, dass er die Küche betreten hatte. Ohne seine Geschichte zu unterbrechen – Sigmund war gerade bei dem Zyklopen angekommen – tat er auch Sven eine Portion auf.
Begeistert legte Sven los. »Gut, dass wir heute ein so herzhaftes Frühstück bekommen«, sagte er. »Vor uns liegt ein großer Tag.«
Dankbar ließ sich Nessus einen Krug mit warmem Karottensaft geben. »Ich fühle mich geschmeichelt, dass du dich daran noch erinnerst«, sagte er zu Kirsten.
Sie tätschelte den Synthesizer. »Wie sollte es anders sein? Wir vier haben schließlich eine ganz schön lange Zeit hier verbracht.«
Der Synthesizer war Nessus vertraut; alles andere an Bord der Explorer hatte sich verändert, und die meisten Anzeichen dafür, dass früher einmal Bürger dieses Schiff genutzt hatten, waren fort. Die Y-förmige Bank seiner Pilotenliege stand nicht mehr auf der Brücke, und ebenso auch nicht seine Konsole, die speziell an seine Münder angepasst gewesen war. Überall an Bord waren die Polsterungen der Luken entfernt. Und im Gemeinschaftsraum befanden sich jetzt auch nur noch Trainingsgeräte für Menschen.
Auch seine einstigen Kundschafter selbst hatten sich verändert. Omar, der Captain, der sich Nessus gegenüber stets unterwürfig verhalten hatte, wirkte jetzt berechnend und bestimmt. Eric, der Ingenieur, der ihm einst treu ergeben war, legte sogar offenes
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