Ripley Under Ground
Er lächelte und faßte das Steuerrad fester. Trotz der Leiche im Keller, trotz des schrecklichen Tages und des nervenzerrüttenden Nachmittags freute sich Tom sehr darauf, wieder zu Hause zu sein. Am Schauplatz des Verbrechens, wie es immer hieß. Er hatte nicht das Gefühl, ein Verbrechen begangen zu haben. Oder kam die Reaktion vielleicht später, heute abend oder erst morgen? Hoffentlich nicht.
»Der Espresso in den italienischen Cafés wird immer schlechter«, verkündete der Graf in feierlichem Bariton. »Wirklich. Wahrscheinlich steckt da irgendwie die Mafia dahinter.« Säuerlich blickte er einen Augenblick aus dem Fenster und fuhr dann fort: »Und die Friseure in Italien, mein Gott im Himmel! Manchmal denke ich, ich kenne mein Land nicht mehr. In meinem alten Friseursalon nahe bei der Via Veneto, wo ich seit Jahren hingehe, da haben sie jetzt lauter junge Männer, die einen fragen, welches Shampoo man wünscht. Ich sage: ›Bitte waschen Sie mir einfach das Haar – soweit noch vorhanden.‹ Drauf fragt er: ›Ja, aber ist es fettig oder trocken, Signor? Wir haben drei Arten Shampoo. Haben Sie Schuppen?‹ ›Nein!‹ sage ich. ›Kann man denn heutzutage kein normales Haar mehr haben, oder gibt es kein gewöhnliches Shampoo mehr?‹«
Sie waren zu Hause angekommen. Genau wie Murchison lobte auch der Graf die Symmetrie von Belle Ombre. Im Garten war zwar kaum noch eine Rose vom Sommer übrig, doch der schöne rechteckige Rasen glänzte, umgeben von starken hohen Kiefern. Es war ein Zuhause, und nicht das allerbescheidenste. Wieder begrüßte Mme. Annette sie vor der Haustür, freundlich und hilfsbereit wie gestern, als Murchison gekommen war. Auch jetzt brachte Tom den Gast in sein Zimmer, das Mme. Annette zurechtgemacht hatte. Zum Tee war es schon etwas spät; Tom sagte dem Grafen, er werde ihn unten finden, wann immer er Lust habe herunterzukommen. Um acht Uhr werde man essen.
Dann ging Tom in sein Zimmer, packte den ›Mann im Sessel‹ aus, trug ihn nach unten und hängte ihn an seinen alten Platz. Es war durchaus möglich, daß Mme. Annette das kurze Fehlen bemerkt hatte; wenn sie fragte, so wollte er sagen, Murchison habe das Bild in Toms Zimmer hinübergenommen, um es bei anderer Beleuchtung zu betrachten.
Tom schlug die schweren roten Vorhänge an der Glastür auseinander und blickte in den Garten hinaus. Der Abend sank, und die gründunklen Schatten gingen über in Schwarz. Ihm fiel ein, daß er genau über der Stelle im Keller stand, an der Murchison lag, und er schob sich etwas beiseite. Er mußte, auch wenn es sehr spät wurde, noch heute abend hinuntergehen und die Wein- und Blutflecken entfernen, so gut er konnte. Mme. Annette konnte aus irgendeinem Grund in den Keller gehen wollen; sie paßte sehr auf, wieviel Öl noch im Tank war. Und wie sollte er bloß die Leiche aus dem Haus schaffen? Im Geräteschuppen war ein Schubkarren. Ob er Murchison auf den Schubkarren legen und mit einer Segeltuchplane zudecken konnte, die ebenfalls im Schuppen lag, ihn dann in den Wald hinter dem Haus fahren und dort vergraben konnte? Das war zwar primitiv und unangenehm nahe beim Haus, aber vielleicht doch die beste Lösung.
Jetzt kam Bertolozzi herunter, flink und trotz seines Gewichts mit federnden Schritten. Er war ein großer starker Mann.
»A-ha! A-hah!« Auch ihm fiel, wie Murchison, sofort das Bild auf, das an der gegenüberliegenden Zimmerwand hing: ›Die roten Stühle‹. Doch er wandte sich sofort zum Kamin um und schien von dem ›Mann im Sessel‹ noch stärker beeindruckt. »Wunderbar! Ganz köstlich!« Er prüfte beide Bilder in der Nähe. »Wirklich – Sie haben mich nicht enttäuscht. Die Bilder sind eine Freude, genau wie Ihr ganzes Haus. Ich meine die Zeichnungen, die in meinem Zimmer hängen.«
Mme. Annette kam mit dem Barwägelchen herein, auf dem ein Eisbehälter und mehrere Gläser standen. Der Graf sah den Punt e Mes und sagte, davon hätte er gern einen Drink.
»Hat die Galerie in London Sie nicht gebeten, ihr die Bilder als Leihgaben für die esposizione zu überlassen?«
Diese Frage hatte vor vierundzwanzig Stunden auch Murchison gestellt, jedoch nur in bezug auf den ›Mann im Sessel‹. Er hatte aus Neugier gefragt: er wollte gern wissen, wie sich die Galerie zu Bildern verhielt, die sie als Fälschungen kennen mußte. Tom war etwas schwindlig, wie vor einer leichten Ohnmacht. Er hatte sich über den Barwagen gebeugt und richtete sich jetzt auf. »Doch, ja – gefragt haben sie mich.
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