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Ripley Under Ground

Ripley Under Ground

Titel: Ripley Under Ground Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Aber wissen Sie, es macht so viel Mühe, das Schicken und die Versicherung und alles. Vor zwei Jahren habe ich ›Die roten Stühle‹ einer Ausstellung überlassen.«
»Ich werde vielleicht einen Derwatt kaufen«, sagte Bertolozzi nachdenklich. »Das heißt, wenn ich´s mir leisten kann. Jedenfalls nur ein kleines Bild, bei seinen Preisen.«
Tom schenkte sich einen unverdünnten Whisky auf Eis ein.
Das Telefon klingelte. »Entschuldigen Sie«, sagte Tom und nahm den Hörer auf.
Edoardo schlenderte im Zimmer umher und betrachtete die anderen Bilder an den Wänden.
Es war Reeves Minot. Er fragte zunächst, ob der Graf angekommen sei, und dann, ob Tom allein im Zimmer wäre.
»Nein.«
»Also: es ist in –«
»Ich kann dich kaum verstehen.«
»Zahnpasta«, sagte Reeves.
»Oh-oh.« Es war ein fast stöhnender Laut, den Tom ausstieß – ein Ächzen des Überdrusses, der Ablehnung, der Langeweile. War denn dies ein Kinderzirkus? Oder ein alberner Film? »Na schön. Und die Adresse? Dieselbe wie letztesmal?« Tom hatte eine – nein, sogar zwei oder drei Adressen in Paris, an die er Reeves´ Sachen früher geschickt hatte.
»Ja, die geht. Die letzte. Ist alles in Ordnung?«
»Ja, danke, ich glaube schon«, sagte Tom freundlich. Er wollte noch fragen, ob Reeves nicht dem Grafen noch guten Tag sagen wollte, nur als freundliche Geste, aber es war wahrscheinlich doch besser, Bertolozzi erfuhr gar nichts von Reeves´ Anruf. Tom fand sich nicht mehr zurecht, er fühlte sich unsicher und sagte nur: »Danke für den Anruf.«
»Wenn alles klappt, brauchst du nicht mehr anzurufen«, sagte Reeves und legte den Hörer auf.
»Würden Sie mich einen Moment entschuldigen, Edoardo?« fragte Tom und lief eilig nach oben. Er trat in Bertolozzis Zimmer. Einer der Koffer stand geöffnet auf der antiken Holztruhe, wo die Gäste und Mme. Annette gewöhnlich die Koffer abstellten, aber Tom suchte zunächst im Badezimmer. Der Graf hatte seine Toilettensachen noch nicht ausgepackt. Tom ging an den Koffer und fand einen undurchsichtigen Plastikbeutel mit Reißverschluß, den er öffnete. Er enthielt Tabak. In einem zweiten Plastikbeutel fand er Rasiersachen, Zahnpasta und Zahnbürste; die Zahnpasta nahm er heraus. Die Tube war am Ende etwas rauh, aber verschlossen. Wahrscheinlich hatte Reeves´ Vertrauensmann irgendeine Art Klemme, mit der er das Metall wieder verschloß. Tom drückte die Tube vorsichtig und fühlte nahe am Ende einen kleinen harten Klumpen. Abwehrend schüttelte er den Kopf, steckte die Zahnpasta ein und legte den Beutel wieder an seinen Platz. Er ging hinüber in sein eigenes Zimmer und legte die Tube ganz nach hinten in die linke oberste Schublade des Schrankes, die einen Kasten mit Manschettenknöpfen und eine Menge gestärkter Kragen enthielt.
Dann ging er wieder nach unten.
Beim Essen unterhielt er sich mit Bertolozzi über Derwatts unerwartete Rückkehr, von der der Graf in den Zeitungen gelesen hatte.
»Er lebt doch in Mexiko, nicht wahr?« fragte Tom.
»Ja, und er will nicht sagen, wo. Genau wie B. Traven, wissen Sie noch? Ha-ha!«
Der Graf lobte das Essen sehr und sprach ihm tüchtig zu. Er besaß die europäische Fähigkeit, mit vollem Munde zu reden, was ein Amerikaner niemals mit Grazie fertigbringt.
Nach dem Essen äußerte der Gast, der Toms Schallplattengerät gesehen hatte, den Wunsch nach Musik und wählte Pelléas et Mélisande aus. Er wollte gern den dritten Akt hören, das etwas hektische Duett zwischen dem Sopran und der tiefen Männerstimme. Während er zuhörte und manchmal auch mitsang, redete er weiter.
Tom versuchte, dem Grafen zuzuhören und die Musik auszuschalten, aber für ihn war es niemals leicht, Musik auszuschalten. Er war nicht in der Stimmung für Pelléas et Mélisande. Was er brauchte, war die Musik aus dem Sommernachtstraum, die phantastische Ouvertüre, und während das Drama auf der anderen Platte ablief, tanzte die Mendelssohnsche Ouvertüre in seinem Innern – unruhig, komisch, bunt und einfallsreich. Nichts brauchte er so sehr wie Erfindungsreichtum.
Sie waren beim Brandy angelangt. Tom schlug vor, morgen früh eine Fahrt mit dem Wagen zu machen und mittags vielleicht in Moret-sur-Loing zu essen. Edoardo hatte gesagt, er wolle einen Nachmittagszug nach Paris nehmen. Aber erst wollte er unbedingt Toms sämtliche Kunstschätze besichtigen. Tom führte ihn also durch das ganze Haus, auch in Heloises Zimmer, wo ein Bild von Marie Laurencin hing.
Sie sagten gute Nacht, und Edoardo zog sich

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