Ripley Under Ground
Gehweg entfernt. Vielleicht war in dem Koffer ein Adreßbuch oder ein alter Briefumschlag. Vielleicht wurde Murchison schon morgen als vermißt gemeldet. Oder übermorgen. Der Mann von der Tate Galerie erwartete ihn morgen früh. Ob Murchison irgend jemand erzählt hatte, daß er Tom Ripley besuchen wollte? Hoffentlich nicht.
7
Freitag morgen war es sonnig und kühl, doch die Herbstluft war noch ohne Schärfe. Tom und Edoardo frühstückten im Wohnzimmer nahe der Glastür, die die Sonne hereinließ. Der Graf war in Pyjama und Hausmantel erschienen, was er, wie er betonte, nicht getan hätte, wenn eine Dame im Hause gewesen wäre, aber er hoffte, Tom habe nichts dagegen.
Kurz nach zehn ging der Graf nach oben, um sich anzuziehen, und kam dann mit seinen Koffern herunter. Sie wollten vor dem Mittagessen noch eine Fahrt machen. »Kann ich wohl etwas Zahnpasta von Ihnen borgen?« fragte er. »Ich muß meine im Hotel in Mailand vergessen haben. Zu dumm.«
Tom hatte die Frage erwartet und war froh, als sie endlich kam. Er ging hinunter in die Küche zu Mme. Annette. Da der Graf seine Toilettensachen vermutlich unten im Koffer hatte, war es wohl am besten, dachte Tom, wenn er ihm die Toilette unten zeigte. Mme. Annette brachte ihm eine Tube Zahnpasta.
Die Post kam, und Tom entschuldigte sich einen Augenblick. Eine Karte von Heloise, in der eigentlich nichts stand. Und ein weiterer Brief von Christopher Greenleaf, den Tom schnell aufriß. Er lautete:
15. Oktober 19- Lieber Mr. Ripley, gerade habe ich festgestellt, daß ich einen Charterflug nach Paris bekommen kann; ich bin also schon früher dort. Hoffentlich sind Sie zu Hause. Ich komme mit einem Freund zusammen, Gerald Hayman, er ist so alt wie ich, aber ich bringe ihn bestimmt nicht mit zu Ihnen, denn das wäre doch wohl zuviel, obgleich er ein netter Kerl ist. Ich komme Sonnabend, den 19. Oktober, in Paris an und werde dann versuchen, Sie anzurufen. Ich bleibe natürlich Sonnabend nacht in Paris im Hotel, denn wir landen erst um sieben Uhr abends französischer Zeit.
Inzwischen viele Grüße Ihres Chris Greenleaf Sonnabend – das war morgen. Gott sei Dank, daß Chris jedenfalls nicht morgen schon herkommen wollte. Himmel, dachte Tom, jetzt fehlte es nur noch, daß Bernard auftauchte. Ob er Mme. Annette bitten sollte, in den nächsten zwei Tagen nicht ans Telefon zu gehen, wenn es klingelte? Das würde aber merkwürdig aussehen und wäre überdies auch ärgerlich für Mme. Annette, denn sie wurde mindestens einmal täglich von einer ihrer Freundinnen angerufen, gewöhnlich von Mme. Yvonne, die auch Haushälterin irgendwo im Dorfe war.
»Schlechte Nachrichten?« fragte Edoardo.
»O nein, nein, gar nicht«, erwiderte Tom. Er mußte die Leiche aus dem Hause schaffen. Am besten heute abend. Chris konnte er natürlich noch aufschieben, ihm sagen, daß er vor Dienstag keine Zeit habe. Tom hatte plötzlich eine Vision von französischen Polizeibeamten, die morgen ins Haus hereinkamen, nach Murchison fragten und ihn in wenigen Sekunden am nächstliegenden Ort fanden, nämlich im Keller.
Tom ging in die Küche, um sich von Mme. Annette zu verabschieden. Sie war dabei, eine große silberne Terrine und eine Anzahl Suppenlöffel zu putzen, die alle mit Heloises Familien-Initialen versehen waren: P. F. P. »Wir fahren jetzt ein bißchen fort. Monsieur reist dann ab. Soll ich noch irgendwas mitbringen?«
»Wenn Sie etwas frische Petersilie mitbringen könnten, M. Tome.«
»Ja, ich werde dran denken. Persil. Ich denke, ich bin vor fünf Uhr zurück. Heute abend bin ich allein zum Essen. Ganz was Einfaches, ja?«
»Soll ich mit den Koffern helfen?« Mme. Annette erhob sich. »Ich weiß gar nicht, wo ich heute meinen Kopf habe.«
Tom versicherte ihr, das sei nicht nötig, aber sie kam doch nach draußen, um dem Grafen Lebewohl zu sagen. Er verneigte sich und machte ihr auf französisch Komplimente über ihre Kochkunst.
Sie fuhren nach Nemours, besahen den Marktplatz mit dem Brunnen und setzten dann die Fahrt fort an der Loing entlang bis Moret, wo Tom sich in den Einbahnstraßen jetzt sehr gut zurechtfand. Auf beiden Seiten der Brücke, die über den Fluß führte, standen imposante graue Steintürme, die vormals das Stadttor gebildet hatten. Der Graf war begeistert.
»Hier ist es auch lange nicht so staubig wie in Italien«, sagte er.
Tom gab sich Mühe, während des sehr langsamen Mittagessens seine Nervosität im Zaum zu halten. Immer wieder blickte er durch die Fenster zu
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