Ripley Under Ground
Badewanne fallen. Seine Stiefel spülte er unter dem Badewannenhahn ab und stellte sie dann in den Schrank. Den Mantel konnte er auch später waschen und dann in den Schrank hängen, so daß Mme. Annette ihn morgens nicht sah.
Dann ging er vorsichtig, in Pyjama und Hausschuhen, hinüber zu Bernard.
Bernard stand auf Strümpfen im Zimmer und rauchte eine Zigarette. Das schmutzige Jackett hing über einer Stuhllehne.
»Dem Anzug kann nicht mehr viel passieren«, sagte Tom. »Laß mich das mal machen.«
Bernard bewegte sich, wenn auch sehr langsam. Er zog die Hose aus und gab sie Tom, der sie zusammen mit dem Jackett hinüberbrachte in sein Schlafzimmer. Er konnte den Schlamm später abwischen und die Sachen dann in eine Schnellreinigung bringen. Es war kein sehr guter Anzug – typisch für Bernard. Jeff oder Ed hatte Tom erzählt, daß Bernard gar nicht alles Geld annahm, das sie ihm von der Firma aus geben wollten. Tom ging wieder hinüber zu Bernard und war zum erstenmal dankbar für den soliden Parkettfußboden: keine Diele knarrte.
»Kann ich dir einen Drink geben, Bernard? Ich glaube, du könntest einen brauchen.« Jetzt machte es nichts mehr, wenn ihn jemand unten sah, dachte Tom, vielleicht Mme. Annette oder sogar Chris. Er konnte jetzt sagen, er und Bernard hätten aus einer Laune heraus eine kurze Ausfahrt gemacht und seien gerade zurückgekommen.
»Danke, nein«, sagte Bernard.
Würde er wohl einschlafen können? Tom hatte nicht den Mut, ihm irgend etwas anzuraten, ein Schlafmittel oder auch eine Tasse heißen Kakao; vermutlich würde Bernard auch dazu »Danke, nein« sagen. Flüsternd sagte Tom: »Tut mir leid, daß ich dich darum bitten mußte. Willst du nicht bitte bis mittags schlafen, wenn du kannst? Chris reist heute morgen ab.«
»Schön«, sagte Bernard, ohne Tom anzusehen. Das Gesicht war von blaßer Olivenfarbe. Die Lippen waren fest geformt, wie Lippen, die nur selten lächeln oder reden, und jetzt sah der Mund enttäuscht aus.
Verraten sieht er aus, dachte Tom. »Ich werd deine Schuhe in Ordnung bringen«, sagte er und nahm sie mit sich.
Er ging hinüber, schloß seine Zimmertür, trat ins Bad und schloß – wegen Chris – auch die Tür zwischen Bad und Schlafzimmer. Er wusch seinen eigenen Regenmantel und spülte Bernards Anzug ab, wusch Bernards Stiefel und stellte sie auf Zeitungspapier nahe an die Heizung in der Toilette. Mme. Annette brachte ihm zwar morgens Kaffee und machte auch sein Bett, aber in sein Bad ging sie nur etwa einmal wöchentlich, um aufzuräumen. Die richtige Putzfrau, eine Mme. Clusot, kam einmal in der Woche nachmittags; heute war ihr Tag.
Zuletzt nahm sich Tom seiner Hände an; sie waren nicht so schlimm, wie sie sich anfühlten. Er rieb sie mit Nivea ein. Irgendwie hatte er das seltsame Gefühl, die letzte Stunde geträumt zu haben, alles Erlebte im Traum durchgemacht zu haben. Das hatte ihm auch die Hände aufgeschürft; aber Wirklichkeit war es nicht.
Das Telefon tinkelte einmal schwach wie zur Einleitung. Tom sprang an den Apparat und fing das Klingeln ab, das ihm gräßlich laut vorkam.
Es war fast drei Uhr früh.
Biep-biep . . . brr. . . brrr . . . dipdipdip duup . . . biep?
Töne aus dem Ozean. Woher kam das Gespräch?
»Vous êtes . . . ne quittez pas . . . Athènes vous appelle . . .«
Heloise also.
»Hallo, Tome! Tome . . . !«
Mehr konnte er mehrere Sekunden lang nicht verstehen. »Kannst du nicht lauter sprechen?« sagte er auf Französisch.
Vage erriet er, daß Heloise gar nicht fröhlich war, sondern sich sehr langweilte. Terriblement ennuyée. Dann war da noch etwas, oder vielleicht auch jemand, der ganz ekelhaft war.
». . . diese Frau – sie heißt Norita . . .« – Lolita?
»Komm doch nach Hause, Süße! Du fehlst mir so!« schrie Tom auf Englisch. »Laß doch diese Kaffern einfach da!«
»Ich weiß nicht recht, was ich tun soll.« Das war ganz deutlich zu verstehen. »Seit zwei Stunden versuche ich, dich zu erreichen. Nicht mal das Telefon funktioniert hier.«
»Soll es ja auch gar nicht! Es soll bloß Geld kosten.« Tom freute sich, als er sie leise lachen hörte – wie eine Sirene unter dem Wasserspiegel.
»Hast du mich lieb?«
»Natürlich hab ich dich lieb!«
Gerade als die Verständigung besser geworden war, wurden sie getrennt. Heloise hatte bestimmt nicht aufgelegt.
Das Telefon klingelte nicht noch einmal. Es war jetzt wohl fünf Uhr morgens in Griechenland. Ob sie von einem Athener Hotel aus angerufen hatte? Oder von der verrückten Jacht.
Weitere Kostenlose Bücher