Ripley Under Ground
Rouen – eine Straße, die, soviel er wußte, nicht existierte.
17
Von seinem Zimmer aus rief Tom Heloise an. Sie war nicht zu Hause; das Mädchen sagte, sie sei mit ihren Eltern auswärts essen gegangen. Darauf meldete Tom ein Gespräch mit Reeves in Hamburg an, das in zwanzig Minuten durchkam. Reeves war am Apparat.
»Tag, Reeves – hier ist Tom. Ich bin in Paris. Wie geht´s? Hör zu: kannst du mir wohl einen Paß verschaffen, tout de suite ? Zwei Fotos habe ich dir heute schon geschickt.«
Reeves schien leicht verstört. War denn dies jetzt eine ernstgemeinte Bitte? Ein Paß –? Ja ja, ganz richtig, ein Paß, so ein kleines Buch, du weißt doch, wie sie einem andauernd gestohlen werden. Tom war so höflich, sich nach dem Preis zu erkundigen.
Den konnte Reeves ihm noch nicht nennen. »Setz es auf die Rechnung«, sagte Tom zuversichtlich. »Wichtig ist nur, daß ich ihn sofort kriege. Wenn du Montag morgen die Bilder bekommst, kann er dann bis Montag abend fertig sein? . . . ja, es ist dringend. Kennst du jemand, der Montag abend oder nacht nach Paris fliegt?« Wenn nicht, dann muß einer gesucht werden, dachte er.
Ja, meinte Reeves, ein Bekannter von ihm könne nach Paris kommen. Gut, aber bloß nicht noch ein weiterer Zwischenträger, beharrte Tom. Er war außerstande, jetzt noch irgend jemandes Taschen oder Koffer zu durchsuchen.
»Möglichst irgendein amerikanischer Name«, sagte er. »Am besten ein amerikanischer Paß, aber ein englischer ginge auch. Bis dahin wohne ich hier im Ritz, Place Vendôme . . . Daniel Stevens.« Sicherheitshalber gab er Reeves noch die Telefonnummer des Hotels und sagte, er werde den Überbringer selber abholen, wenn er erführe, wann der Mann in Orly ankam.
Jetzt war auch Heloise wieder im Haus in Chantilly, und Tom sprach mit ihr. »Ja, ich bin in Paris. Willst du heute abend herkommen?«
Das wollte sie, und Tom war begeistert. Er sah sich im Geist ihr gegenübersitzen, schon in einer Stunde, und Sekt trinken, wenn Heloise Lust auf Sekt hatte, was meistens der Fall war.
Tom stand auf dem grauen Straßenpflaster und blickte sich auf der Place Vendôme um. Er mochte keine kreisrunden Plätze. In welcher Richtung sollte er nun gehen – links zur Opéra hinüber, oder rechts zur Rue de Rivoli? Rechtecke oder Quadrate waren ihm lieber. Wo mochte Bernard sein? Wozu brauchst du eigentlich einen Paß? fragte er sich. Als Trumpfkarte? Als zusätzliches Mittel zu potentieller Freiheit? »Ich kann nicht wie Derwatt zeichnen«, hatte Bernard am Nachmittag gesagt. »Ich zeichne überhaupt nicht mehr – sogar für mich selber nur noch selten.« Ob Bernard in diesem Augenblick irgendwo in einem Pariser Hotel stand und sich über dem Waschtisch die Pulsadern aufschnitt? Oder ob er am Geländer einer Seinebrücke lehnte, im Begriff hinunterzuspringen, verstohlen, wenn niemand ihn sah?
Tom schritt geradenwegs auf die Rue de Rivoli zu. Der Abend war kühl und dunkel, die Schaufenster versperrt mit Ketten und Stahlriegeln, um den für Touristen ausgelegten Plunder vor Diebstahl zu schützen: Seidentücher mit dem Aufdruck ›Paris‹, überteuerte Krawatten und Hemden. Einen Augenblick dachte er daran, ein Taxi zum sechsten Arrondissement zu nehmen, dort in der freundlicheren Atmosphäre herumzuschlendern und bei Lippe ein Bier zu trinken. Aber dort würde er womöglich Chris treffen; das wollte er vermeiden. Er ging ins Hotel zurück und meldete ein Gespräch mit Jeffs Fotoatelier an. Die Telefonistin sagte, es werde dreiviertel Stunden dauern, weil die Leitungen alle besetzt seien, doch dann kam es nach einer halben Stunde durch.
»Hallo? Paris –?« Jeffs Stimme klang wie die eines ertrinkenden Delphins.
»Ja, ich bin´s – Tom. Ich bin in Paris. Kannst du mich hören?«
»Schlecht!«
Es war nicht so schlecht, daß Tom Lust zu einer zweiten Anmeldung verspürte. Er sprach weiter. »Ich weiß nicht, wo Bernard ist, Jeff. Habt ihr von ihm gehört?«
»Wieso bist du in Paris?«
Was hatte es für einen Zweck, bei so schlechter Verständigung noch Erklärungen abzugeben. Tom erfuhr mit einiger Mühe, daß Jeff und Ed nichts von Bernard gehört hatten. Dann sagte Jeff:
»Sie versuchen immer noch, Derwatt auf zutreiben . . .« (gedämpfte englische Flüche) »Herrgott, wenn ich dich nicht mal verstehe, dann kann doch ein anderer erst recht . . .«
»D´accord!« unterbrach ihn Tom. »Was hast du für Sorgen, erzähl mal.«
»Es kann sein, daß Murchisons Frau . . .«
»Was? Was?!« Herrgott,
Weitere Kostenlose Bücher