Ripley Under Water
Glück an diesem Tag, so dachte Tom, trug auch ein bißchen bei, daß er nicht hatte mit ansehen müssen, wie die beiden Hummer lebend in kochendes Wasser geworfen wurden, daß er ihr spitzes Wimmern weder hatte hören noch sich vorstellen müssen. Und als er in ein weiteres saftiges Fleischstück biß, das von zerlassener Zitronenbutter troff, sagte er sich, daß die Polizei nicht dagewesen sein konnte, während Ed und er die Grais’ besuchten. Sonst hätte Madame Annette das sofort gemeldet.
»Köstlich«, sagte Ed. »Speist du jeden Abend so gut?«
Er lächelte. »Nein, nur dir zu Ehren. Freut mich, daß du es magst.« Tom nahm ein paar Blätter Rucola.
Sie waren gerade mit Salat und Käse fertig, als das Telefon klingelte. Die Polizei? Oder hatte Agnès recht mit ihrer Vorhersage, und es war Héloïse?
»Hallo?«
»’allô, Tomme!« Sie war es, rief von Roissy an. Ob er Noëlle und sie später in Fontainebleau abholen könne?
Tom atmete tief durch. »Héloïse – chérie, wie schön, daß du wieder zu Hause bist, aber… Könntest du vielleicht heute bei Noëlle bleiben? Nur für eine Nacht?« Ihre Freundin hatte ein Gästezimmer, das wußte er. »Ich habe Besuch, aus England…«
»Wen?«
»Ed Banbury«, sagte er zögernd: Der Name würde ihr irgendwie Gefahr signalisieren, weil sie ihn mit der Galerie Buckmaster verband. »Heute abend haben wir – etwas zu erledigen. Morgen dagegen… Wie geht es Noëlle?… Gut. Alles Liebe von mir, ja? Und dir geht es auch gut? Macht dir doch nichts aus, Liebling, heute nacht in Paris zu bleiben? Ruf mich morgen früh an. Egal, wann.«
»Na gut, chéri. Schön, wieder hier zu sein!« schloß Héloïse auf englisch. Sie legten auf.
»Herr im Himmel!« Tom ging zum Tisch zurück.
»Héloïse«, stellte Ed fest.
»Sie wollte heute noch herkommen, wird jetzt aber bei ihrer Freundin übernachten. Noëlle Hassler. Gott sei Dank.« Die Leiche in der Garage war nur ein Gerippe und womöglich nicht mehr zu identifizieren; trotzdem waren es die Knochen eines Toten, und instinktiv wollte er Héloïse davon fernhalten. Er mußte schlucken, trank von dem Montrachet. »Ed –«
In diesem Moment kam seine Haushälterin herein: Zeit, die Teller für Hummer und Salat abzuräumen und die Dessertschälchen aufzutragen. Nachdem Madame Annette ihre leichte, selbstgemachte Himbeermousse serviert hatte, begann er noch einmal. Ed sah ihn aufmerksam an, verhalten lächelnd.
»Ich will mich heute abend noch um das Problem kümmern«, sagte Tom.
»Dachte ich mir schon. – Wieder ein Fluß? Das Ding würde versinken«, erwiderte Ed leise, aber nachdrücklich. »Da ist nichts, was auftreibt.«
Auch ohne Steine, meinte er sicher. »Nein. Ich habe eine andere Idee: Werfen wir’s dem alten Prickhard wieder vor die Füße. In den Gartenteich.«
Ed lächelte, lachte leise, bekam ein bißchen Farbe: »Vor die Füße«, wiederholte er wie beim Lesen oder Hören einer komischen Horrorstory und nahm einen Löffel von seinem Dessert.
»Möglich wär es«, erwiderte Tom ruhig und begann ebenfalls zu essen. »Die Himbeeren stammen aus meinem Garten, weißt du?«
Kaffee im Wohnzimmer, keiner wollte Cognac. Tom schlenderte zur Haustür, trat hinaus und sah in den Nachthimmel hinauf. Kurz vor elf, viele Wolken, weshalb auch die Sterne nicht prangten wie sonst im Sommer, und wo war der Mond? Andererseits: Was scherte es sie, ob der Mond schien, wenn die Sache schnell erledigt war? Im Moment war er nicht zu sehen.
Tom kehrte ins Wohnzimmer zurück. »Machst du mit heute nacht? Pritchard werden wir nicht zu Gesicht bekommen, denke ich, aber…«
»Ja, Tom.«
»Bin gleich wieder da.« Tom lief die Treppe hinauf, zog abermals seine Levis an, holte den Ring aus der schwarzen Hose und steckte ihn ein. Wurde er neurotisch, was Umziehen anging – hing er der Phantasie an, das helfe ihm irgendwie, gebe ihm neue Kraft? Aus seinem Atelier holte Tom einen weichen Pinsel und Zeichenpapier und ging nach unten. Seine Laune hatte sich schlagartig gebessert.
Ed saß wie zuvor an einem Ende des gelben Sofas, nun aber mit einer Zigarette in der Hand.
»Schnell eine Skizze – hältst du das aus?«
»Von mir ?« Aber Ed ließ ihn gewähren. Tom zeichnete das Sofa und das Kissen als Hintergrund, beide nur angedeutet, die in verblüffter Konzentration zusammengezogenen blonden Brauen des Freundes, der ihn unverwandt ansah, seine weizengelben Wimpern, die schmalen englischen Lippen und die losen Linien seines
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