Ripley Under Water
Freundin Marie-Louise, glaube ich.« Er mußte lächeln. »Durch ihr Buschtelefon dürfte sie inzwischen mehr wissen als Agnès.«
In seinem Zimmer fand er sein Adreßbuch nicht, es lag wahrscheinlich unten auf dem Tisch in der Diele. Er ging hinunter, suchte Jeff Constants Nummer heraus und wählte. Beim siebten Klingeln hob Jeff endlich ab.
»Jeff, hier ist Tom. Hör mal – im Augenblick ist alles ruhig hier, also warum kommst du nicht herüber? Ein Kurzurlaub mit Ed und mir, oder auch länger, wenn du kannst. Wie wär’s mit morgen?« Er sprach vorsichtig, so als könnte sein Telefon abgehört werden, was allerdings noch nie vorgekommen war. »Ed geht gerade spazieren.«
»Morgen? Na ja, morgen könnte ich wohl kommen. Mit Vergnügen, wenn die Fluglinien mitspielen. Und du hast auch sicher Platz für mich?«
»Auf jeden Fall, Jeff!«
»Danke, Tom. Ich schau mir die Flugpläne an und rufe dich zurück. Dauert hoffentlich höchstens eine Stunde. In Ordnung?«
Selbstverständlich. Tom versicherte ihm auch, er werde ihn gern von Roissy abholen.
Héloïse sagte er, das Telefon sei frei – wie es aussehe, werde Jeff Constant morgen herüberkommen und ein paar Tage bleiben.
»Schön, Tomme. Dann ruf ich jetzt Agnès an.«
Er schlenderte hinaus, ging wieder hinunter, denn er wollte nachsehen, ob der Holzkohlengrill für das abendliche Barbecue bereit war. Während er die wasserdichte Abdeckplane zusammenfaltete und den Grill an eine geeignete Stelle rollte, dachte er: Was, wenn Pritchard Mrs. Murchison seinen Fund mitgeteilt und gesagt hatte, daß er sicher sei, die Knochen stammten von ihrem Mann, wegen des Highschool-Rings am kleinen Finger der rechten Hand?
Warum hatte die Polizei noch nicht angerufen?
Vielleicht waren seine Schwierigkeiten noch längst nicht vorbei. Falls Pritchard Mrs. Murchison informiert hatte (und womöglich auch Cynthia Gradnor, großer Gott!), könnte er hinzugefügt haben, daß er die Knochen Tom Ripley vor die Tür geschmissen habe oder das noch tun wolle. ›Geschmissen‹ hätte er nicht gesagt, dachte Tom, eher ›gelegt‹ oder ›geworfen‹, jedenfalls Mrs. Murchison gegenüber.
Andererseits wiederum – Tom mußte lächeln, weil seine Gedanken so weit abschweiften – könnte Pritchard im Gespräch mit Mrs. Murchison verschwiegen haben, daß er das Gerippe jemandem bringen wollte, weil das pietätlos gewirkt hätte: Korrekt wäre vermutlich gewesen, die Knochen nach Hause zu schaffen, wie es Pritchard zuerst getan hatte, und dann die Polizei zu rufen. Tom dachte an seine alten Seile, die Pritchard nicht angerührt hatte – womöglich hatte der Mann gar nicht nach Ringen gesucht.
Oder, auch das war denkbar: Pritchard könnte kleine Schlitze in die alte Plane geschnitten und den Ehering eigenhändig entfernt haben; der Ring lag irgendwo in seinem Haus, wo die Polizei ihn vielleicht finden würde. Sollte Mrs. Murchison durch Pritchard von den Knochen erfahren haben, dann hatte sie vielleicht die beiden Ringe erwähnt, die ihr Mann stets getragen hatte, und könnte den Ehering identifizieren, falls die Polizei ihn fände.
Tom spürte, daß seine Gedanken immer überspannter und haltloser wurden – weshalb er auch nicht glauben mochte, seine letzte Befürchtung könne Wirklichkeit werden: Angenommen, Pritchard hatte den Ring an einem nur ihm bekannten Ort im Haus versteckt (was voraussetzte, daß der Ehering nicht schon im Loing abgefallen war), dann unter Umständen so gut, daß niemand ihn finden würde, es sei denn, das Haus brannte bis auf die Grundmauern ab und man siebte die Asche durch. Könnte Teddy vielleicht –
»Tom?«
Tom schrak auf, fuhr herum. »Hallo Ed!«
Ed mußte um das Haus gegangen sein und stand nun hinter ihm. »Ich wollte dich nicht erschrecken.« Er hatte die Ärmel seines Pullovers um den Hals geknotet.
Tom mußte lachen. Er war hochgefahren wie nach einem Schuß. »Habe vor mich hin geträumt. Jeff hab ich erreicht. Sieht so aus, als könnte er morgen kommen. Ist das nicht toll?«
»Ja, nicht? Scheint mir eine gute Idee. Und sonst?« fragte Ed leiser. »Irgendwas Neues?«
Tom trug den Beutel Grillkohle in eine Ecke der Terrasse. »Ich glaube, die Damen tauschen Erinnerungen aus.« Gerade noch konnte er hören, wie sich Héloïse und seine Haushälterin unweit der Diele angeregt unterhielten. Beide redeten gleichzeitig, doch jede würde die andere bestens verstehen, wenn auch erst nach einigen Wiederholungen. »Wir werden
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