Ripley Under Water
nach draußen. Wie vermutet, wollte Henri nicht arbeiten, nicht an einem Samstag zu dieser späten Stunde, sondern über les évènements in der maison Prichard reden. Selbst ein doppelter Selbstmord, wie Henri es nannte, brachte seinen mächtigen Körper nicht aus der Ruhe; soweit Tom sehen konnte, wirkte er nicht einmal angespannt.
»Ja, stimmt. Habe davon gehört«, sagte Tom. »Madame Grais hat mich heute morgen angerufen. Wirklich entsetzlich!«
In seinen dicksohligen Stiefeln trat Henri von einem Fuß auf den andern. Seine großen Hände drehten einen Kleestengel hin und her, an dessen Ende eine kugelrunde, lavendelblaue Blüte tanzte. »Und dann die Knochen darunter«, sagte Henri leise und unheilvoll, als sei damit das letzte Wort über die Pritchards gesprochen. »Knochen, M’sieur !« Hin und her, hin und her. »Was für seltsame Leute – und das hier, genau vor unserer Nase!«
Tom hatte ihn noch nie zuvor verstört gesehen. »Glauben Sie…« Sein Blick ging zum Rasen, dann zurück zu Henri. »…die beiden wollten wirklich Selbstmord begehen?«
»Wer weiß?« Henri zog die buschigen Augenbrauen hoch. »Vielleicht war’s ein seltsames Spiel? Beide haben etwas ausprobiert – aber was?«
Mehr als vage, dachte Tom, doch Henris Gedanken spiegelten wahrscheinlich die Spekulationen des ganzen Dorfes wider. »Man darf gespannt sein, was die Polizei sagt.«
»Bien sûr!«
»Und vom wem stammen die Knochen? Weiß das jemand?«
» Non, Monsieur. Sie sind ja schon älter. Als ob… Alors, Sie wissen – jedermann weiß –, daß Prichard die Flüsse und Kanäle in der Umgebung abgefischt hat. Warum wohl? Zum Vergnügen? Manche sagen, das wären die Knochen, die Prichard aus einem Kanal geholt hat. Und seine Frau und er hätten sich um sie geprügelt !« Henri sah ihn an, als habe er ein unappetitliches Geheimnis des Pärchens verraten.
»Geprügelt«, wiederholte Tom, so wie Leute auf dem Land das taten.
»Seltsam, Monsieur.« Henri schüttelte den Kopf.
»Oui, ah oui.« Tom seufzte ergeben, als ob jeder Tag neue Verwirrungen bringe, mit denen man eben leben müsse. »Vielleicht gibt es heute abend à la télé etwas Neues – wenn sie sich mit einem kleinen Dorf wie Villeperce überhaupt abgeben, eh ? Na gut, Henri, ich muß zurück zu meiner Frau, wir haben nämlich Besuch aus London und erwarten noch einen Gast für morgen. Sie wollen doch sicher um diese Uhrzeit nicht mehr mit der Arbeit anfangen, oder?«
Das wollte Henri allerdings nicht, doch hatte er nichts gegen ein Gläschen Wein im Gewächshaus. Tom hielt dort stets eine Flasche bereit (die er öfter auswechselte, damit der Wein nicht schal wurde) und zwei Gläser. Die Gläser waren nicht besonders sauber; sie prosteten sich dennoch zu und tranken daraus.
Leise sagte Henri: »Gut, daß die beiden aus dem Dorf verschwinden. Und diese Knochen auch. Diese Typen waren wirklich bizarres .«
Tom nickte bedächtig.
» Salutations à votre femme, Monsieur «, sagte Henri und stapfte gemächlich über den Rasen davon, in Richtung des Waldwegs neben dem Haus.
Tom kehrte ins Wohnzimmer zurück, zu seinem Tee.
Ed und Héloïse unterhielten sich über Brighton. Als ob es nichts anderes gäbe.
Tom stellte den Fernseher an. Es war fast soweit. »Bin gespannt, ob Villeperce in den Nachrichten eine Minute bekommt«, sagte er, an Héloïse gewandt. »Und sei es nur bei den Inlandsmeldungen.«
»Ach ja!« Sie setzte sich auf.
Er hatte den Apparat mehr in die Mitte des Zimmers gerollt. Zuerst ging es um eine Konferenz in Genf, dann um eine Segelregatta irgendwo anders. Héloïse verlor das Interesse; Ed und sie unterhielten sich weiter, auf englisch.
»Seht mal, da ist es«, sagte Tom eher gelassen.
»Das Haus!« rief Héloïse.
Alle drei sahen hin: das zweistöckige weiße Haus der Pritchards, aus dem Off kam die Stimme des Sprechers. Offenbar war es dem Fotografen nicht gelungen, näher als bis zur Straße heranzukommen, und das womöglich nur für diesen einen Schuß, dachte Tom. Der Sprecher sagte: »…ein rätselhafter Unglücksfall, der heute morgen in Villeperce, einem Dorf nahe Moret, aufgedeckt wurde. Die Leichen zweier Erwachsener, David und Janice Prichard, Amerikaner, beide Mitte Dreißig, wurden in einem zwei Meter tiefen Gartenteich gefunden. Die beiden Verstorbenen waren voll bekleidet und trugen Schuhe. Ihr Tod wird als Unfall gewertet… Madame et Monsieur Prichard hatten das Haus erst kürzlich gekauft…«
Kein Wort über die
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