Riptide - Mörderische Flut
Stichwort war von oben leises Donnergrollen zu hören.
»Verstanden«, sagte Neidelman und wandte sich an Bonterre und Hatch. »Lassen Sie uns hinuntersteigen und noch die restlichen Sensoren anbringen.«
Abermals setzten sie Ihren Abstieg fort, und als Hatch sich an der Dreißig-Meter-Plattform vorbei dem Boden der Grube näherte, stellte er fest, daß seine Arme und Beine vor Anstrengung und Kälte zitterten.
»Sehen Sie sich das hier an.« Neidelman leuchtete in einen weiteren Seitenstollen. »Da haben wir schon wieder einen perfekt ausgebauten Tunnel, der sich direkt unterhalb des ersten befindet. Ganz ohne Zweifel gehörte auch er zur ursprünglichen Konstruktion der Grube.«
Bonterre befestigte noch rasch einen Sensor an einem Querträger und kletterte dann zu Neidelman hinunter.
Auf einmal hörte Hatch, der ihr auf dem Fuß folgte, wie Bonterre tief Luft holte und einen französischen Fluch ausstieß. Er warf einen Blick nach unten, und sofort schlug ihm das Herz bis zum Hals.
Unter ihnen lag, inmitten von altem, verrottetem Unrat, eine teilweise skelettierte Leiche, an deren Schultern und Hüften noch die Fetzen alter Kleidung hingen. Ihr Unterkiefer stand offen, als lache sie gerade über einen albernen Witz; in ihren leeren Augenhöhlen ließ das Licht von Bonterres Helmlampe unstete Schatten umherhuschen. Hatch hatte plötzlich das Gefühl, der ganzen Szenerie seltsam entrückt zu sein, und obwohl sein Verstand ihm sagte, daß das Skelett viel zu groß war, um das seines Bruders zu sein, wandte er die Augen von dem grausigen Anblick und klammerte sich mit beiden Händen an der Leiter fest. Er schnappte nach Luft und hatte große Mühe, seinen Herzschlag unter Kontrolle zu kriegen.
»Malin!« hörte er Bonterres Stimme, die einen dringlichen Ton hatte. » Malin! Dieses Skelett ist sehr alt. Comprends? Mindestens hundert Jahre.«
Hatch atmete noch ein paarmal konzentriert durch, bevor er ihr antworten konnte. »Verstehe«, stieß er hervor. Dann löste er ganz langsam eine Hand von der Leiter und stieg wie in Zeitlupe die letzten beiden Sprossen hinunter, bis er neben Bonterre und Neidelman stand.
Fasziniert ließ der Kapitän, der Hatchs Reaktion offenbar nicht bemerkt hatte, den Strahl seiner Helmlampe über das Skelett gleiten. »Sehen Sie sich bloß mal dieses Hemd an«, sagte er. »Handgewebter Stoff, Raglan-Schnitt- das typische Gewand eines Fischers am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. Ich denke, wir haben soeben die Leiche von Simon Rutter gefunden, dem ersten Opfer der Wassergrube.« Gedankenverloren starrten die drei hinab auf das Skelett, bis ein erneutes Donnergrollen sie zurück in die Gegenwart holte.
Ohne ein Wort zu sagen richtete Neidelman das Licht seiner Lampe an den eigenen Füßen vorbei nach unten, wo Hatch das Ziel ihres Ausflugs erkennen konnte: den Boden der Wassergrube. Etwa drei Meter unter ihnen lag dort im Schlamm und Schlick ein wildes Durcheinander von zersplitterten Balken, verrosteten Eisenteilen, abgerissenen Schläuchen und allen möglichen Maschinen und Werkzeugen. Direkt darüber entdeckte Hatch die Eingänge von mehreren Seitenstollen, die hier auf den Hauptschacht stießen. Aus ihren Öffnungen hingen dampfende Barte aus feuchtem Seegras und Tang. Neidelman beleuchtete noch eine Weile dieses wilde Durcheinander, bevor er sich wieder an Hatch und Bonterre wandte. Seine schlanke Gestalt wurde vom eisigen Nebel seines Atems umgeben wie von einem weißlichen Heiligenschein. »Etwa fünfzehn Meter tief unter diesem Schutt«, flüsterte er, »liegt ein ZweiMilliarden-Dollar-Schatz vergraben.« Obwohl seine Augen zwischen Hatch und Bonterre hin-und herwanderten, schienen sie in weite Ferne zu blicken. Auf einmal ließ er ein leises, sanftes und irgendwie wunderliches Lachen hören. »Nur fünfzehn Meter«, wiederholte er. »Und alles, was wir jetzt noch tun müssen, ist graben .«
Auf einmal war Streeters Stimme über die Sprechanlage zu vernehmen. Hatch fand, daß sie bei all ihrer Trockenheit einen dringlichen Ton an sich hatte. »Kapitän Neidelman, hier Streeter. Wir haben hier ein Problem.«
»Was?« fragte Neidelman, der vorhin fast verträumt geklungen hatte, plötzlich mit scharfer Stimme.
Nach einer kurzen Pause fuhr Streeter fort. »Sir, wir -einen Augenblick bitte -wir raten Ihnen, daß Sie Ihre Mission abbrechen und augenblicklich wieder nach oben kommen.«
»Aber warum denn das?« fragte Neidelman. »Ist es ein technisches Problem?«
»Nein,
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