Riptide - Mörderische Flut
Protestierenden nicht an Deck zu kommen. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, dachte Clay unglücklich, sich das größte Schiff der Schatzsucher als Ziel der Demonstration auszusuchen. Vielleicht hätten sie eher die Insel selbst ins Visier nehmen und die Pier blockieren sollen. Von dort hatten jedenfalls vor gut zwei Stunden einige Boote abgelegt und an der Protestflottille vorbei mit hoher Geschwindigkeit direkten Kurs auf Stormhaven genommen.
Noch einmal ließ Clay die Blicke über das traurige Häuflein von Booten schweifen, die ihm von seiner Armada noch geblieben waren.
Als sie am Morgen ausgelaufen waren, hatte Clay sich so mächtig und stark gefühlt wie seit seiner Studentenzeit nicht mehr. Er war von seiner Sache überzeugt gewesen und hatte ganz sicher geglaubt, daß sich im Verhältnis zwischen ihm und der Stadt etwas Entscheidendes verändert hatte. Nach so vielen Jahren konnte er endlich etwas tun, was diese Menschen wirklich bewegte. Jetzt aber, beim Anblick der sechs sturmgepeitschten Boote, die auf den Wellen hin und her tanzten, mußte er vor sich selbst zugeben, daß die Protestaktion der Fischer ebenso gescheitert war wie alles andere, das er bisher in Stormhaven auf die Beine gestellt hatte.
Lemuel Smith, der Chef der Hummerfischer-Genossenschaft, hängte ein paar Fender über die Bordwand seines Kutters und brachte ihn längsseits zu Clays Boot. Die See hob die beiden Schiffe hoch und preßte sie fest aneinander. Clay lehnte sich an den Schandeckel und schaute durch den erbarmungslos herabprasselnden Regen hinüber zu Smith. Die Nässe hatte dem Reverend die Haare an den eckigen Schädel geklatscht und seinem ohnehin schon strengen Gesicht das Aussehen einer Totenmaske verliehen.
»Wird Zeit, daß wir Schutz im Hafen suchen, Reverend«, rief der Hummerfischer ihm zu. »Das wird ein mörderischer Sturm. Vielleicht könnten wir es noch einmal versuchen, wenn die Makrelensaison vorbei ist.«
»Dann ist es zu spät!« schrie Clay durch den Wind und den Regen.
»Aber wir haben unsere Interessen kundgetan«, brüllte Smith.
»Es geht nicht darum, unsere Interessen kundzutun, Lem«, erwiderte Clay. »Ich bin genauso naß und durchgefroren wie Sie, aber dieses Opfer müssen wir bringen. Wir müssen diese Leute aufhalten .«
Der Hummerfischer schüttelte den Kopf. »Bei einem solchen Wetter wird da nichts draus, Reverend. Aber wer weiß, vielleicht erledigt ja dieser Nordost-Sturm die Angelegenheit auch ohne unser Zutun.« Smith blickte prüfend zum Himmel hinauf und dann hinüber zum Festland, das sich nur noch als schwacher bläulicher Streifen hinter den dichten Regenschleiern abzeichnete. »Ich jedenfalls kann es mir nicht leisten, mein Boot zu verlieren.«
Clay verstummte. Ich kann es mir nicht leisten, mein Boot zu verlieren. Das brachte es genau auf den Punkt. Diese Leute konnten einfach nicht einsehen, daß es wichtigere Dinge gab als ihre Boote und ihr Geld. Wahrscheinlich würden sie das ja niemals begreifen. Clay spürte, daß sich die Haut um seine Augen anspannte, und bemerkte wie nebenbei, daß er weinte. Aber was machte das schon, es waren ja nur ein paar Tränen mehr im Ozean. »Ich möchte nicht, daß irgend jemand meinetwegen sein Boot verliert«, brachte er gerade noch heraus, bevor er sich abwenden mußte. »Fahren Sie nur nach Hause, Lern. Ich bleibe hier.«
Der Hummerfischer zögerte. »Es wäre mit aber lieber, Sie würden mitkommen. Den Kampf gegen diese Leute können Sie ein andermal fortführen, aber den Kampf gegen den Sturm werden Sie verlieren.«
Clay winkte ab. »Vielleicht lande ich auf der Insel und spreche mit Neidelman persönlich…« Dann drehte er sich abrupt um und tat so, als habe er etwas an Deck zu tun.
Smith blickte noch eine Weile besorgt zu ihm hinüber. Clay war nicht gerade ein erfahrener Seemann. Aber einem Mann zu sagen, was er mit seinem Boot zu tun hatte, stellte in den Augen des Hummerfischers eine unverzeihliche Beleidigung dar. Außerdem bemerkte Smith in Clays Miene eine verwegene Entschlossenheit, gegen die jedes seiner Argumente sowieso nutzlos gewesen wäre. Also schlug er mit der Hand auf den Schandeckel von Clays Boot. »Dann werden wir jetzt mal von hier verschwinden. Ich bin auf Kanal 10,5 empfangsbereit, für den Fall, daß Sie Hilfe brauchen.«
Clay blieb im Windschatten der »Cerberus« und ließ den Motor seines Bootes im Leerlauf tuckern. Durch den Regen sah er, wie die anderen Boote hinaus in die schwere See stachen und
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