Riptide - Mörderische Flut
hörte das vom Heulen des Windes überlagerte Brummen ihrer Diesel. Er hüllte sich fester in seine Öljacke und suchte einen festen Stand an Deck. Zwanzig Meter von ihm entfernt erhob sich der geschwungene weiße Rumpf der »Cerberus« wie ein schützender Fels aus den Wogen, die fast lautlos an ihr entlangglitten.
Clay überprüfte die Funktionen seines Bootes. Die Pumpen arbeiteten fehlerfrei und beförderten das übergenommene Wasser in dünnen Strahlen über Bord. Auch der Motor lief bislang vertrauenerweckend rund, und Diesel war noch reichlich an Bord. Jetzt, da er nur noch den Allmächtigen als Bundesgenossen hatte, erfüllte ihn ein merkwürdiges Gefühl der Genugtuung. Vielleicht hatte er ja die Sünde der Vermessenheit begangen und zuviel von den Menschen aus Stormhaven erwartet. Auf sie konnte er sich nicht verlassen, wohl aber auf sich selbst.
Clay beschloß, noch eine Weile zu warten und dann hinüber nach Ragged Island zu fahren. Er hatte ein Boot und genügend Zeit. Alle Zeit der Welt.
Die Arme fest ums Steuerrad geschlungen, sah er dem Rest der Protestflotte hinterher, der langsam den Hafen von Stormhaven ansteuerte. Bald waren die Boote nur noch weitentfernte, geisterhafte Gebilde vor einem naßgrauen Hintergrund.
So kam es, daß Clay das Thalassa-Schiff nicht sah, das von der Pier auf der Insel ablegte und sich stampfend und schlingernd der »Cerberus« näherte. Sobald es den Kamm einer Welle erklommen hatte, drehte sich die Schraube seines Außenbordmotors einen kurzen Augenblick frei in der Luft, bis das Boot wieder in einem Wellental verschwand. Auf diese Weise arbeitete es sich mühsam auf die Einstiegsluke an der Clay gegenüberliegenden Bordwand des Forschungsschiffes zu.
44
Donny Truitt lag auf dem Sofa und atmete jetzt, nachdem Hatch ihm Intramuskulär ein starkes Beruhigungsmittel gespritzt hatte, merklich langsamer. Teilnahmslos starrte er zur Decke, während Hatch ihn gründlich untersuchte. Bonterre und der Professor hatten sich in die Küche zurückgezogen und sprachen dort leise miteinander.
»Donny, hör mir jetzt gut zu«, sagte Hatch. »Wann hast du die ersten Symptome bemerkt?«
»Vor einer Woche etwa«, antwortete Truitt niedergeschlagen. »Zuerst habe ich nicht viel darauf gegeben. Aber jeden Morgen nach dem Aufwachen war mir schlecht. So schlecht, daß ich manchmal sogar mein Frühstück wieder erbrochen habe. Und dann begann dieser Ausschlag auf meiner Brust.« »Wie sah er aus?«
»Erst waren es nur rote Flecken, die irgendwann mal zu kleinen Beulen wurden. Außerdem hatte ich Schmerzen an beiden Seiten des Halses. Und ich bemerkte beim Kämmen, daß mir die Haare ausfielen. Anfangs waren es nur wenige, aber bald konnte ich sie mir büschelweise ausreißen. Dabei hat es in meiner Familie nicht einen einzigen Kahlkopf gegeben, alle meine Verwandten hatten bis zu ihrem Tod volles Haar. Ehrlich gesagt, Mal, ich weiß nicht, ob meine Frau es verkraften würde, wenn ich eine Glatze bekäme.«
»Mach dir darüber jetzt keine Sorgen. Das ist nicht der normale Haarausfall bei Männern. Wenn wir erst herausgefunden haben, was dir fehlt, werden deine Haare schon wieder zu sprießen beginnen.«
»Das möchte ich hoffen«, sagte Truitt. »Gestern bin ich gleich nach der Mitternachtsschicht nach Hause gefahren und habe mich schlafen gelegt, aber heute morgen fühlte ich mich wie gerädert. Ich war noch nie in meinem Leben bei einem Arzt, aber ich dachte, du bist doch mein Freund, oder? Das ist etwas anderes, als wenn man in eine Klinik geht oder so.«
»Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte?« fragte Hatch. Donny wirkte auf einmal peinlich berührt. »Na ja, mein… mein Hinterteil tut mir ziemlich weh. Da scheinen auch wunde Stellen zu sein.«
»Dann dreh dich mal zur Seite und laß mich nachsehen«, sagte Hatch.
Ein paar Minuten später saß Hatch allein im Eßzimmer und dachte nach. Der Krankenwagen, der Donny in die nächstgelegene Klinik bringen sollte, würde mindestens noch eine Viertelstunde auf sich warten lassen. Und dann war da immer noch das Problem, wie man Donny überhaupt dazu bringen sollte, ins Krankenhaus zu gehen. Als waschechter Landbewohner aus Maine wurde seine tiefsitzende Angst vor Ärzten nur noch von seinem Grauen vor Krankenhäusern übertroffen.
Einige von Donnys Symptomen wie Apathie und Übelkeit ähnelten denen, über die auch andere Arbeiter von Thalassa klagten, aber die meisten traten nur bei ihm auf. Es ist zum Verrücktwerden,
Weitere Kostenlose Bücher