Riptide - Mörderische Flut
dabei in eine Wolke aus rötlichem Staub zerfiel.
Er hob es langsam ans Licht der Lampe und begutachtete es von allen Seiten.
Heft und Scheide waren aus schwerem Gold und ein gutes Beispiel für die byzantinische Handwerkskunst des achten oder neunten Jahrhunderts. Das Schwert hatte eine sehr seltene dolchähnliche Form, und die Verzierungen waren erstaunlich filigran ins Metall getrieben. Neidelman, der schon viele alte Waffen begutachtet hatte, war noch nie eine schönere Arbeit untergekommen.
Er drehte das Schwert, um das Licht noch besser darauf fallen zu lassen, und wurde mit einem Anblick belohnt, der ihm fast das Herz stillstehen ließ. Die Breitseiten der Scheide waren dicht an dicht mit mugelig geschliffenen Saphiren besetzt, deren Größe, Farbe und Reinheit einfach unglaublich waren. Neidelman fragte sich, wie ein irdischer Edelsteinschleifer einem Saphir solch ein Feuer verleihen konnte.
Als nächstes betrachtete er das Heft des Schwertes. Auf der Parierstange und dem Griff befanden sich vier Rubine, von denen es jeder einzelne mit dem berühmten De Long Star hätte aufnehmen können, der vielen als der schönste Edelstein der Welt galt. Aber damit noch nicht genug, denn das Ende des Schwertknaufs zierte ein weiterer, in doppelter Sternform geschliffener Rubin, der den De Long an Größe, Farbe und Reinheit bei weitem in den Schatten stellte. Dieser Stein, dachte Neidelman, während er das Schwert langsam unter dem Licht drehte, hatte nichts, was ihm auf Erden ebenbürtig war. Überhaupt nichts.
Zwischen diesen außergewöhnlichen Juwelen hatten die Schöpfer des Schwertes ein wahres Feuerwerk von Saphiren in allen möglichen Farben angebracht, die von Schwarz über Orange, Dunkelblau, Weiß, Grün, Rosa bis hin zu Gelb reichten. Jeder hatte einen perfekten Doppelstern-Schliff, und abermals mußte Neidelman feststellen, daß er noch nie so intensiv leuchtende Edelsteine gesehen hatte. Jeder für sich genommen war bereits umwerfend; sie alle aber in dieser herrlichen byzantinischen Goldschmiedearbeit vereint zu sehen, war ein Anblick, der kaum faßbar war. Ein Objekt von solcher Schönheit hatte es auf der ganzen Welt bisher noch nie gegeben und würde es auch in Zukunft nicht mehr geben. Dieses Schwert suchte wirklich seinesgleichen.
Mit absoluter Klarheit sah Neidelman, daß seine Erwartungen an das Schwert nicht zu hoch geschraubt gewesen waren. Im Gegenteil, er hatte es sogar noch unterschätzt. Dies war ein Kunstwerk, das die Welt verändern würde.
Nun war es jedoch endlich an der Zeit, das St.-MichaelsSchwert zu ziehen. Wie lange er auf diesen Augenblick gewartet hatte! Waren Heft und Scheide schon so außergewöhnlich, mußte die Klinge schier unglaublich sein. Neidelman umklammerte das Heft mit der Rechten und begann, das Schwert langsam und genüßlich aus der Scheide zu ziehen.
Während er das tat, verwandelte sich Neidelmans Gefühl höchster Glückseligkeit zuerst in Erstaunen, dann in Verwunderung und schließlich in blankes Entsetzen. Was da nach und nach zum Vorschein kam, war nichts weiter als ein pockennarbiges, deformiertes Stück schuppiges Metall, das häßliche Flecken und Einschlüsse einer weißlichen Substanz aufwies und eine seltsame violett-schwarze Farbe hatte. Entgeistert starrte er auf die häßliche Klinge und fragte sich, was das wohl zu bedeuten habe. Lange Jahre hatte er im Geiste wieder und immer wieder dieses Schwert gezogen, hatte sich Hunderte, vielleicht sogar Tausende Male vorgestellt, wie es wohl aussehen würde. In seiner Phantasie war es dabei immer unterschiedlich gewesen, aber nie hatte es so ausgesehen wie dieses hier.
Neidelman fuhr mit den Fingern über das rauhe Metall und wunderte sich, daß es sich merkwürdig warm anfühlte. Vielleicht war das Schwert ja in ein Feuer geraten und geschmolzen und später mit einem neuen Heft versehen worden. Aber was für ein Feuer konnte eine Klinge so deformieren? Und aus was für einem Metall bestand sie überhaupt? Bestimmt nicht aus Eisen, denn dann hätte sie Rost angesetzt, aber auch nicht aus Silber, das durch Oxidation schwarz geworden wäre. Platin und Gold kamen auch nicht in Frage, denn diese Stoffe liefen überhaupt nicht an. Und für Zinn oder ein anderes unedles Metall war es viel zu schwer.
Welches Metall wurde violett, wenn es oxidierte?
Langsam drehte er das Schwert im Licht und dachte dabei an die Legende vom Erzengel Michael.
Und dann kam ihm eine Idee.
Schon oft hatte er sich spät in der
Weitere Kostenlose Bücher