Riptide - Mörderische Flut
Flotte von Schiffen, die er irgendwann einmal gekapert hatte: ein paar Galeonen, ein paar Brigantinen, eine schnelle Schaluppe und, wie ich glaube, auch einen großen Ostindienfahrer. Insgesamt waren es neun Schiffe, von denen wir wissen, daß sie gefährlich überladen und kaum mehr manövrierfähig waren. Um die Größe des Schatzes zu bestimmen, braucht man eigentlich nur die Ladekapazität dieser Flottille zusammenzuzählen und mit den Frachtpapieren der Schiffe abzugleichen, die Ockham gekapert hat. So ist uns zum Beispiel bekannt, daß er allein der spanischen Silberflotte vierzehn Tonnen Gold und die zehnfache Menge Silber geraubt hat. Dazu kamen Lapislazuli, Perlen, Bernstein, Diamanten, Rubine, Karneole, Ambra, Jade, Elfenbein und Edelhölzer aus anderen Schiffen. Ganz zu schweigen von den liturgischen Kostbarkeiten, die er bei Überfällen auf spanische Kolonialstädte an der Nordostküste Südamerikas erbeutet hat.« Beim Sprechen bekam St. John ganz leuchtende Augen und nestelte gedankenverloren an seiner Fliege herum.
»Habe ich mich verhört, oder haben Sie wirklich von vierzehn Tonnen Gold gesprochen?« fragte Hatch verblüfft.
»Das habe ich«, antwortete St. John.
»Muß ein schwimmendes Fort Knox gewesen sein«, bemerkte Wopner und leckte sich die Lippen.
»Und dann ist da noch das St.-Michaels-Schwert«, fuhr St. John fort. »Ein Kunstwerk, das allein für sich schon einen unschätzbaren Wert darstellt. Wir haben es hier mit dem größten Schatz zu tun, den je ein Pirat zusammengetragen hat. Ockham war ein brillanter Kopf und ein gebildeter Mann, was ihn weitaus gefährlicher als andere Freibeuter machte.« St. John nahm einen Kunststoffordner aus einem der Regale und reichte ihn Hatch. »Das hier ist eine Biographie von Ockham, die einer unserer Mitarbeiter zusammengestellt hat. Wenn Sie sie lesen, werden Sie erkennen, daß die Legende im Fall dieses Mannes kaum übertreibt. Der Ruf, der ihm vorauseilte, war so schrecklich, daß Ockham. mit seinem Schiff bloß in einen Hafen einlaufen, die Piratenflagge hissen und eine Breitseite abfeuern mußte, und schon kamen alle Bürger vom Pfarrer bis zum Handwerker und lieferten ihm freiwillig ihre Wertsachen ab.«
»Und was war mit den Jungfrauen?« fragte Wopner mit wollüstigem Interesse. »Was haben die Piraten mit denen gemacht?«
St. John hielt mit halb geschlossenen Augen inne. »Muß das sein, Kerry?«
»Und ob«, erwiderte Wopner mit Engelsmiene. »Ich will es wissen.«
»Sie wissen sehr gut, was mit den Jungfrauen geschehen ist«, fauchte St. John und wandte ich wieder an Hatch. »Ockham hatte neun Schiffe und eine Gefolgschaft von etwa zweitausend Männern. Er brauchte die vielen Leute zur Bedienung der großen Geschütze und zum Kapern der Beuteschiffe. Diesen Männern gab er normalerweise vierundzwanzig Stunden nun, wie soll ich sagen -Urlaub, damit sie sich in diesen unglücklichen Städten austoben konnten. Das Ergebnis war meistens ziemlich niederschmetternd.«
»Nicht nur die Schiffskanonen hatten ein großes Kaliber, wenn Sie wissen, was ich meine«, sagte Wopner mit einem dreckigen Grinsen.
»Jetzt sehen Sie, was ich tagtäglich erleiden muß«, murmelte St. John an Hatch gewandt.
»Das tut mir ja so schrecklich leid, alter Junge. Ich bin wirklich untröstlich«, höhnte Wopner, wobei er St. Johns englischen Akzent nachäffte. »Manche Leute haben eben keinen Sinn für Humor«, fügte er in Richtung Hatch hinzu.
»Ockhams Erfolg wurde ihm zunehmend zu einer Belastung«, fuhr St. John entschlossen fort. »Er wußte einfach nicht, wo er einen derart riesigen Schatz unterbringen sollte; schließlich handelte es sich nicht bloß um ein paar hundert Pfund Goldmünzen, die man irgendwo unter einem Felsen verbuddeln konnte. Genau an diesem Punkt kommt Macallan ins Spiel und indirekt auch wir, denn Macallan hat alles in seinem geheimen Tagebuch festgehalten, das wir jetzt zu entschlüsseln versuchen.«
St. John klopfte auf die Bücher, die er unter dem Arm trug. »Hier habe ich einige wichtige Abhandlungen über Kryptologie«, erklärte er. »Das hier zum Beispiel, ›Polygraphiae‹ von Johannes Trithemius aus dem späten sechzehnten Jahrhundert, war seinerzeit die erste im Westen erschienene Anleitung zum Entschlüsseln von Geheimschriften. Und da haben wir Portas ›De Furtivus Literarum Notis‹, einen Text, den alle Spione zur elisabethanischen Zeit praktisch auswendig kannten. Ich habe noch ein halbes Dutzend weiterer Werke,
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