Riptide - Mörderische Flut
und blickte hinüber zu Neidelman. Es war klar, daß der Kapitän seinen Mitarbeitern großen persönlichen Freiraum ließ. Außerdem kam es Hatch so vor, als hätte Neidelman seltsamerweise wirklich einen Narren an dem exzentrischen jungen Mann gefressen.
Aus einem Lautsprecher ertönte auf einmal ein lauter Piepton, und über den ersten Bildschirm glitt eine lange Spalte von Zahlenkombinationen.
»Das war's«, sagte Wopner mit einem Blick auf die Daten.
»Scylla ist okay.«
»Was ist Scylla?« fragte Hatch.
»Scylla ist das System hier auf dem Schiff. Das andere auf der Insel drüben heißt Charybdis.«
»Wir haben gerade das Netzwerk getestet«, erklärte Neidelman. »Sobald die Installation auf der Insel fertig ist, brauchen wir nur alle Programme von Scylla hinüber auf Charybdis zu laden. Alles wird vor dem Download zur Insel erst einmal hier überprüft.« Er sah auf die Uhr. »Ich muß mich jetzt um ein paar wichtige Dinge kümmern. Kerry, ich weiß, daß Dr. Hatch sich brennend für Ihre und Dr. St. Johns Arbeit an dem Macallan-Code interessiert. Wären Sie vielleicht so freundlich, ihm ein wenig davon zu erzählen? Ich sehe Sie dann oben an Deck, Malin.«
Mit diesen Worten verließ Neidelman die Kabine und zog die Tür hinter sich zu.
Wopner nahm sein manisches Getippe wieder auf, so daß Hatch sich schon fragte, ob der junge Mann ihn komplett ignorieren wollte. Dann aber griff sich Wopner, ohne von seinem Bildschirm aufzublicken, einen auf dem Boden herumliegenden Turnschuh und knallte ihn an ein freies Stück Kabinenwand. Als sich daraufhin nichts tat, warf er dem Schuh ein dickes Paperback mit dem Titel »Das Programmieren von Netzwerk-Subroutinen in C++« hinterher.
»Hey, Chris«, schrie Wopner. »Wir sollen ein paar Kunststückchen vorführen!«
Jetzt wurde Hatch klar, daß Wopner auf eine schmale, in der Kabinenwand eingelassene Tür gezielt hatte. »Darf ich Ihnen behilflich sein?« fragte er. »Ihre Treffgenauigkeit läßt zu wünschen übrig.«
Hatch ging zur Tür und öffnete sie. Dahinter lag eine Kabine, die genau dieselbe Größe wie die von Wopner hatte, aber vollkommen anders aussah. Sie war hell erleuchtet, sauber und nur spärlich möbliert. Christopher St. John, der Engländer, saß an einem Holztisch in der Mitte des Raumes und hackte langsam auf einer altertümlichen Schreibmaschine herum.
»Hallo«, sagte Hatch. »Kapitän Neidelman meinte, Sie würden mir vielleicht ein paar Minuten Ihrer Zeit opfern.«
St. John stand auf und nahm ein paar alte Bücher vom Tisch. Auf seinem glatten glänzenden Gesicht machte sich ein nervöser Ausdruck breit. »Es ist mir ein besonderes Vergnügen, Sie hier begrüßen zu dürfen, Dr. Hatch«, sagte er und gab Hatch die Hand. Trotz seiner höflichen Worte schien er über die Störung nicht allzu erfreut zu sein.
»Sagen Sie doch Malin zu mir.«
St. John machte eine kleine Verbeugung und folgte Hatch in Wopners Kabine.
»Nun holen Sie sich schon einen Stuhl, Malin«, meinte Wopner. »Ich will Ihnen mal kurz erklären, woran ich hier die ganze Zeit arbeite, und dann erzählt Ihnen Chris etwas von seinen staubigen alten Folianten, die er da drüben in seiner Kabine ständig hin und her schleppt. Chris und ich sind ein eingespieltes Team. Habe ich nicht recht, alter Kumpel?«
St. John verzog indigniert den Mund. Sogar hier auf dem Wasser hatte Hatch den Eindruck, als wäre der Historiker von Staub und Spinnweben umgeben. Der Mann gehört in ein Antiquariat, nicht auf eine Schatzsuche, dachte er.
Hatch schob mit dem Fuß den am Boden liegenden Müll beiseite und zog sich einen Stuhl heran, den er neben den von Wopner stellte. Dieser deutete auf einen Monitor, der aber im Augenblick noch dunkel war. Nach ein paar rasch eingegebenen Kommandos erschien eine digitalisierte Faksimile-Seite von Macallans mit verschlüsselten Randbemerkungen versehenem Traktat.
»Neidelman glaubt, daß die zweite Hälfte des Tagebuchs wichtige Informationen über den Schatz enthält«, erklärte Wopner. »Deshalb arbeiten wir uns von zwei Seiten an die Entschlüsselung des Codes heran. Ich versuche es mit dem Computer, und Chris hier fährt auf der historischen Schiene.«
»Der Kapitän hat mir erzählt, der Schatz sei zwei Milliarden Dollar wert. Wie kommt er auf eine solche Summe?«
»Nun ja«, hub St. John an und räusperte sich, als wolle er gleich eine Vorlesung halten. »Wie viele andere Piraten auch, verfügte Ockham über eine bunt zusammengewürfelte
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