Riptide - Mörderische Flut
Wasserspiegel millimeterweise sank. Dabei entblößte er von Seegras überzogene Balken und triefende, muschelüberkrustete Wände. Zu seinem Erstaunen mußte Hatch mit einem perversen Gefühl des Bedauerns kämpfen, denn irgendwie kam es ihm fast enttäuschend vor, daß sie in zwei Wochen all das geschafft hatten, was den Schatzsuchern der letzten zweihundert Jahre trotz ihrer Mühen und Schmerzen und dem Einsatz ihres Lebens verwehrt geblieben war.
Neidelman war wieder am Funkgerät. »Hier spricht Kapitän Neidelman. Ich übe hiermit mein Recht als Leiter dieser Expedition aus und gebe allen Angestellten, die nicht zum Bereitschaftsdienst eingeteilt sind, den heutigen Nachmittag frei.«
Wieder ertönte Jubel auf der Insel und auf den Booten. Hatch sah hinüber zu Magnusen und fragte sich, weshalb sie so intensiv auf ihren Monitor starrte.
»Kapitän Neidelman?« sagte Rankin, der ebenfalls die Augen nicht von seinem Bildschirm wandte. Als Bonterre seinen Gesichtsausdruck sah, blickte sie ihm über die Schulter. »Kapitän Neidelman? Kommen Sie mal, bitte?« wiederholte Rankin lauter als zuvor.
Neidelman, der gerade dabei war, Champagner nachzuschenken. ging hinüber zu dem Geologen.
»Das Wasser fällt nicht mehr«, sagte dieser und deutete auf den Bildschirm.
Mit einemmal verstummten alle Anwesenden und blickten durch die Glasplatte nach unten.
Aus der Grube war ein leises, aber beständiges Zischen zu hören, und Luftblasen, die aus der dunklen Tiefe heraufgestiegen kamen, erzeugten kleine Strudel an der Wasseroberfläche. Neidelman trat einen Schritt zurück. »Steigern Sie die Pumpenleistung auf hundertfünfzigtausend Liter«, befahl er mit ruhiger Stimme.
»Ja, Sir«, antwortete Magnusen, und das Geratter der Pumpen nahm zu.
Ohne ein Wort stellte sich Hatch neben Bonterre und starrte gemeinsam mit ihr auf Rankins Bildschirm. Die blaue Säule, die den Wasserspiegel symbolisierte, stand jetzt bei der SechsMeter-Marke. Sie zitterte ein wenig und begann dann, langsam, aber unerbittlich nach oben zu steigen.
»Wasserspiegel wieder bei fünf Metern«, sagte Magnusen.
»Wie kann das sein?« fragte Hatch. »Die Flutstollen sind doch alle verschlossen. Es kann kein Wasser mehr in die Grube fließen.«
»Streeter«, sagte Neidelman ins Mikrofon, »was geben die Pumpen maximal her?«
»Bei zweihunderttausend Litern pro Minute beginnt der rote Bereich, Sir.«
»Ich will nicht wissen, wann der rote Bereich beginnt, sondern wieviel die Pumpen hergeben.«
»Zweihundertfünfzigtausend Liter, Sir, aber dann…«
Neidelman wandte sich an Magnusen. »Los.«
Draußen nahm das Brüllen der Pumpen eine ohrenbetäubende Lautstärke an. Alle starrten auf die Monitore, und niemand sagte ein Wort. Die blaue Säule blieb stehen, zitterte abermals und schien sogar ein wenig zu fallen. Erst jetzt bemerkte Hatch, daß er den Atem angehalten hatte; er schnaufte vorsichtig durch.
»Grande merde du noir« , flüsterte Bonterre. Voll ungläubigen Staunens sah Hatch, wie der Wasserspiegel wieder anstieg.
»Wir sind wieder bei drei Metern«, erklärte Magnusen ungerührt.
»Gehen Sie mit den Pumpen auf dreihunderttausend«, befahl Neidelman.
»Aber Sir!« krächzte Streeters Stimme aus dem Funkgerät. »Wir können doch nicht…«
»Tun Sie, was ich sage!« schnauzte Neidelman Magnusen an. Seine Stimme klang hart; er hatte den Mund zu einem schmalen weißen Strich zusammengepreßt.
Die Ingenieurin drehte entschlossen an einem Knopf auf ihrer Konsole.
Hatch trat wieder an das Beobachtungsfenster und sah, wie unten in der Wassergrube Streeters Leute zusätzliche Metallverstärkungen am Pumpenschlauch anbrachten, der sich jetzt wie ein lebendiges Wesen wand und zuckte. Hatch dachte mit Schrecken daran, was wohl passieren würde, wenn der Schlauch vor Überbeanspruchung platzte. Der enorme Wasserdruck konnte einen Menschen gut und gerne in Stücke reißen.
Das Brüllen der Pumpen war jetzt in ein lautes Heulen übergegangen, das wie ein Klageschrei klang und Hatch durch Mark und Bein ging. Er spürte, wie die Insel unter seinen Füßen erbebte. Kleine Erdklumpen lösten sich vom Rande der Grube und fielen hinab ins dunkle gurgelnde Wasser.
Die blaue Säule auf dein Monitor blieb stehen, sank jedoch nicht.
»Sir!« rief Streeter. »Die vordere Dichtung gibt nach!« Neidelman stand reglos da und starrte wie gebannt hinunter in die Wassergrube.
»Sir!« rief Streeter, der Mühe hatte, den Lärm zu übertönen, aus dem
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