Riptide - Mörderische Flut
seltsamen Zeitlupe hoch in die Luft geschraubt, gefolgt von einer Wolke aus pulverisiertem Fels, Schlamm und Tang. Als er wieder in sich zusammenfiel, breiteten sich ringsum kreisförmige Wellen aus, die mit der Dünung kollidierten. Die »Naiad«, das nähere der beiden Boote, schaukelte wie verrückt auf der plötzlich unruhigen See.
»Ladung zwei auslösen«, befahl Neidelman, und eine zweite Explosion erschütterte hundert Meter von der ersten entfernt das Riff. Rasch nacheinander ließ Neidelman nun auch die anderen Ladungen zünden, so daß es Hatch vorkam, als würde rings um die Südküste von Ragged Island ein wilder Sturm das Wasser peitschen. Schade, daß heute nicht Sonntag ist, dachte er. Sonst hätten wir Reverend Clay einen Gefallen getan und die Leute geweckt, die während seiner Predigt eingepennt sind.
Nach der letzten Explosion warteten die Tauchteams auf der »Naiad« und der »Grampus« so lange, bis sich die See wieder beruhigt hatte. Dann gingen sie nach unten und überprüften, ob auch wirklich alle fünf Stollen verschlossen waren. Nachdem sie Neidelman über Funk gemeldet hatten, daß alles in Ordnung sei, wandte sich dieser wieder an Magnusen. »Stellen Sie die Pumpen auf einen Durchsatz von hunderttausend Liter pro Minute ein«, sagte er. »Und Sie, Streeter, machen Ihr Team startklar.«
Mit dem Mikrofon in der Hand wandte er sich an die Gruppe im Beobachtungsturm.
»So, und jetzt wollen wir mal die Wassergrube trockenlegen«, erklärte er.
Ein kräftiges Brummen war von der Südküste her zu vernehmen. Es zeigte an, daß die Pumpen ihre Arbeit aufgenommen hatten. Fast gleichzeitig hörte Hatch ein lautes, widerstrebend klingendes Ächzen aus dem Schacht, wo nun das Wasser abgesaugt wurde. Er sah, wie sich der Schlauch, der es über die Insel zurück in den Ozean leiten sollte, auf einmal prall und fest wurde. Rankin und Bonterre starrten auf den Monitor mit dem Querschnitt der Grube, während Magnusen sämtliche Werte der Pumpen im Auge behielt. Der Turm begann ganz leicht zu vibrieren.
Ein paar Minuten verstrichen.
»Wasserspiegel um zehn Zentimeter gesunken«, verkündete Magnusen.
»Der Tidenhub beträgt hier zwei Meter fünfzig«, sagte Neidelman zu Hatch. »Auch das Wasser in der Grube sinkt nie unter diese Marke. Wenn wir also drei Meter erreicht haben, wissen wir, daß unsere Aktion Erfolg hatte.«
Endlose, gespannte Sekunden vergingen, bis Magnusen von ihren Instrumenten aufblickte.
»Wasser auf drei Meter unter normal gesunken«, erklärte sie ungerührt.
Die Menschen im Orthanc sahen sich an, bis sich auf Neidelmans Gesicht plötzlich ein zufriedenes Grinsen breitmachte. Augenblicklich begannen alle vor Freude verrückt zu spielen. Bonterre ließ gellende Pfiffe ertönen und warf sich dem überraschten Rankin in die Arme, und die Techniker klopften sich gegenseitig auf die Schultern. Selbst Magnusen verzog die Lippen zu etwas, das fast als Lächeln hätte durchgehen können, bevor sie sich wieder mit ernster Miene ihrer Schalttafel zuwandte. Irgendwer zauberte auf einmal eine Flasche Veuve Cliquot und ein paar Plastikbecher hervor.
»Bei Gott, wir haben es geschafft«, sagte Neidelman, der seinen Mitarbeitern reihum die Hände schüttelte. »Heute legen wir die Wassergrube trocken!« Er griff nach der Flasche, öffnete den Verschluß und ließ den Korken knallen. »Dieser Schacht hat seinen Namen nicht umsonst«, meinte er, während er den Champagner ausschenkte. Hatch glaubte, in der Stimme des Kapitäns ein leichtes emotionales Zittern zu vernehmen. »Zweihundertjahre lang war der größte Feind aller Schatzsucher das Wasser. Solange man das nicht aus der Grube entfernt hatte, kam man auch nicht an den Schatz heran. Ab morgen, meine Freunde, wird sich die Wassergrube einen neuen Namen suchen müssen. Ich danke und gratuliere Ihnen allen von ganzem Herzen.« Als Neidelman seinen Becher hob, war von mehreren anderen Stellen auf der Insel entfernter Jubel zu hören.
»Wasserspiegel um fünf Meter gesunken«, verkündete Magnusen.
Mit seinem Becher in der Hand trat Hatch in die Mitte des Raumes und schaute durch die Glasplatte nach unten. Die Wassergrube bot einen geradezu gespenstischen Anblick. Streeters Leute standen am Rand des Schachtes und beobachteten den Pumpenschlauch. Hunderttausend Liter Wasser der Inhalt eines halben Swimmingpools wurden von den mächtigen Pumpen Minute für Minute nach oben ins Meer befördert. Hatch konnte direkt sehen, wie der
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