Riptide - Mörderische Flut
einer kleinen, mit Filz bezogenen Anrichte, auf der einige Karaffen und Gläser aus geschliffenem Kristall standen. Er nahm zwei Portweingläser aus ihren mit Samt ausgeschlagenen Halterungen und goß in jedes ein paar Fingerbreit von dem schweren dunkelroten Wein. »Diese Kupferstiche sind von Sir Joseph Banks«, erklärte er, als er Hatchs Interesse an den Drucken bemerkte. »Er war der Botaniker, der Kapitän Cook auf seiner ersten Reise um die Welt begleitete. Sie zeigen Pflanzen, die er kurz nach der Entdeckung Australiens in der Botany Bay gesammelt hat. Wegen des phantastischen Pflanzenreichtums der Bucht hat Banks ihr diesen Namen verliehen.«
»Sie sind wundervoll«, murmelte Hatch, als Neidelman ihm sein Glas reichte.
»Möglicherweise sind es die schönsten Kupferstiche, die jemals gemacht wurden. Was war dieser Banks doch für ein Glückspilz: ein Botaniker, dem ein völlig neuer Kontinent geschenkt wurde.«
»Interessieren Sie sich für Botanik?« fragte Hatch.
»Eher für völlig neue Kontinente«, antwortete Neidelman und blickte ins Feuer. »Aber dafür bin ich ein wenig zu spät auf die Welt gekommen. Die anderen haben sie mir schon alle vor der Nase weggeschnappt.« Er beeilte sich zu lächeln, als wolle er damit den wehmütigen Ausdruck in seinen Augen verscheuchen.
»Aber In der Wassergrube haben Sie jetzt eine Herausforderung, die die Mühe wert ist.«
»Ja«, antwortete Neidelman. »Vielleicht eine der letzten, die es noch gibt. Das ist wohl auch der Grund dafür, warum ich mich von Rückschlägen wie dem von heute vormittag nicht entmutigen lasse. Große Geheimnisse geben sich nun mal nicht im Handumdrehen preis.«
Schweigend trank Hatch seinen Portwein. Den meisten Männern waren lange Pausen in einer Unterhaltung peinlich, aber Neidelman schienen sie nicht zu stören.
»Was ich Sie noch fragen wollte«, sagte Neidelman schließlich. »Wie fanden Sie eigentlich unsere Aufnahme bei der Bevölkerung gestern auf dem Fest?«
»Im großen und ganzen scheinen die Leute es zu begrüßen, daß wir hier sind. Unsere Gegenwart ist auf jeden Fall ein Segen für die Geschäftsleute der Stadt.«
»Stimmt«, sagte Neidelman. »Aber was meinen Sie mit ›im großen und ganzen‹?«
»Nun, es ist eben nicht jeder ein Geschäftsmann.« Hatch beschloß, nicht um den heißen Brei herumzureden. »Offenbar hält der Pastor der Gemeinde unser Tun für verwerflich.«
Neidelman lächelte trocken. »So, so, der Herr Pastor hat moralische Bedenken. Es ist doch erstaunlich, daß diese christlichen Pfarrer auch nach zweitausend Jahren Mord, Inquisition und Intoleranz von Seiten der Kirche noch meinen, sie hätten die Moral für sich gepachtet.«
Hatch rutschte ein wenig unbehaglich auf der Bank herum. Dieser redegewandte Neidelman unterschied sich doch ziemlich von dem eiskalten Mann, der vor einigen Stunden ohne mit der Wimper zu zucken sich und seine Leute durch das Hochfahren der Pumpen in höchste Gefahr gebracht hatte.
»Die Kirche hat zu Kolumbus gesagt, daß seine Schiffe über den Rand der Erde stürzen würden. Sie hat Galilei gezwungen, seine umwälzende Entdeckung öffentlich zu widerrufen.«
Neidelman holte die Pfeife aus seiner Jackettasche und stopfte sie sorgfältig. »Mein Vater war auch Pastor«, erzählte er, nachdem er sie angezündet hatte, mit ruhigerer Stimme. »Der hat mir genügend Moralpredigten gehalten.«
»Sie glauben also nicht an Gott?« fragte Hatch.
Neidelman sah ihn schweigend an, bevor der den Kopf senkte und sagte: »Um ehrlich zu sein, ich habe mir oft gewünscht, ich könnte an ihn glauben. Meine Kindheit war so sehr von Religion geprägt, daß ich ohne sie manchmal eine gewisse Leere empfinde. Aber ich bin nun mal ein Mensch, der nur das glaubt, was sich auch beweisen läßt. Ich kann einfach nicht. anders, ich brauche Beweise.« Er trank einen Schluck Portwein. »Aber warum fragen Sie? Sind Sie etwa gläubig?«
Hatch blickte ihn an. »Nun ja, eigentlich schon.«
Neidelman zog an seiner Pfeife und wartete.
»Aber ich rede nicht gerne darüber.«
Ein Lächeln verbreitete sich auf Neidelmans Gesicht. »Wunderbar. Darf ich Ihnen noch einmal nachschenken?«
Hatch reichte ihm sein Glas. »Der Pastor ist übrigens nicht der einzige in der Stadt, der unserem Unternehmen gegenüber kritisch eingestellt ist«, fuhr er fort. »Ein alter Freund von mir, mein früherer Naturkundelehrer, hat mir gesagt, daß wir seiner Meinung nach scheitern werden.«
»Und wie denken Sie
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