Riptide - Mörderische Flut
geschnitten hat, vermutlich von den Inkas in Peru. Er hat dem Piraten bestimmt eine hübsche Wasserblase beschert.«
»Dann haben wir hier endlich den ersten kleinen Teil von Edward Ockhams Schatz«, hauchte Hatch.
»Ja«, antwortete Bonterre sehr viel nüchterner. »jetzt wissen wir, daß es ihn gibt.«
Während Hatch die Goldmünzen betrachtete, die allein schon ein kleines numismatisches Vermögen darstellten, spürte er, wie ein seltsames Kribbeln in seinem Magen begann. Was ihm bisher immer eher theoretisch, ja sogar akademisch vorgekommen war, schien plötzlich Wirklichkeit geworden. »Weiß der Kapitän schon davon?« fragte er.
»Noch nicht. Aber kommen Sie, es gibt noch mehr zu sehen.« Hatch konnte den Blick noch immer nicht von dem frischen, satten Glanz des Metalls wenden. Was macht seinen Anblick bloß so unwiderstehlich? überlegte er sich. In der Art, wie Menschen auf Gold reagierten, war eindeutig etwas Atavistisches.
Hatch schüttelte den Kopf und kletterte aus dem Ausgrabungssektor. »Und jetzt müssen Sie sich das eigentliche Lager ansehen!« sagte Bonterre und hakte sich bei Hatch unter. »Das ist nämlich noch seltsamer als dieses Grab.«
Hatch ließ sich von Bonterre zu einer anderen Stelle der Ausgrabung führen, die ein paar Dutzend Meter von dem Grab entfernt lag. Er sah nicht besonders spektakulär aus: Auf einer Fläche von etwa hundert Quadratmetern hatte man hier die Grasnarbe und die obere Bodenschicht entfernt und rotbraune, dichtgepackte Erde freigelegt. Hatch sah mehrere schwarze Flecken, wo früher Feuerstellen gewesen waren, und etliche kreisrunde Vertiefungen, die in unregelmäßigen Abständen in den Boden gegraben waren. Überall steckten kleine Plastikfähnchen, mit schwarzem Marker durchnumeriert.
»Hier standen früher wohl einmal die Zelte, in denen die an der Wassergrube arbeitenden Piraten lebten. Sehen Sie sich bloß einmal an, wie viele Artefakte zurückgeblieben sind. Jedes Fähnchen steht für ein Fundstück, und dabei graben wir hier erst den zweiten Tag.« Bonterre führte Hatch auf die andere Seite des Lagerschuppens, wo ein großes Stück Segeltuch am Boden lag. Sie schlug es zurück, und Hatch sah zu seinem Erstaunen eine Menge fein säuberlich aufgereihter und mit numerierten Zettelchen versehener Gegenstände.
»Zwei Steinschloßpistolen«, sagte Bonterre und deutete mit dem Finger darauf. »Dann drei Dolche, zwei Enterbeile, ein Krummsäbel und eine Donnerbüchse. Des weiteren ein Faß mit Schrot, mehrere Säcke mit Musketenkugeln sowie ein Dutzend Goldpiaster, mehrere Teile eines Silberbestecks, ein Jakobsstab und ein Dutzend fünfundzwanzig Zentimeter lange Handspaken.«
Bonterre blickte auf. »Ich habe noch nie in so kurzer Zeit so viele Artefakte gefunden. Und dann ist da auch noch das hier.« Sie hob eine Goldmünze auf und gab sie Hatch. »Selbst wenn man noch so reich ist, wirft man eine Dublone wie diese doch nicht einfach weg.«
Hatch wog die Münze in seiner Hand. Es war eine große spanische Dublone, die sich kühl und wunderbar schwer anfühlte. Ihr Gold schimmerte so hell, als wäre sie erst vor einer Woche geprägt worden. Das Kreuz von Jerusalem war zusammen mit dem Löwen und dem Kastell, die Leon und Kastilien symbolisierten, nicht ganz mittig aufgeprägt und wurde von der Inschrift PHILIPPVS + IV + DEI + GRAT umgeben. Das Gold erwärmte sich rasch in Hatchs Hand, und obwohl er sich dagegen sträubte, begann sein Herz schneller zu schlagen.
»Diese Funde hier geben uns noch ein weiteres Rätsel auf«, sagte Bonterre. »Im siebzehnten Jahrhundert hat man Seeleute nie angezogen begraben. Schließlich waren Kleidungsstücke an Bord von Schiffen sehr begehrt. Und selbst wenn man jemand völlig bekleidet beerdigt, dann durchsucht man doch vorher seine Taschen, oder etwa nicht? Die Goldmünzen im Stiefel stellten selbst für einen Piraten ein ziemliches Vermögen dar. Und wieso hat man alle diese Dinge hiergelassen? Pistolen, Säbel, die kleine Kanone, Handspaken - das alles war doch das Handwerkszeug des Piraten, an dem sein Herz hing. Und was ist mit dem Jakobsstab, einem Navigationsinstrument, das man dringend benötigte, um den Heimweg zu finden? Solche Dinge läßt man doch nicht freiwillig auf einer Insel zurück.«
St. John trat auf die beiden zu. »Es sind neue Knochen zum Vorschein gekommen, Isobel«, sagte er und berührte sie sanft am Ellenbogen.
»Neue Knochen? In einem anderen Planquadrat? Wie aufregend, Christophe !«
Hatch
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