Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)
Alltagstheorien die psychologischen Theorien des zurückliegenden Jahrhunderts widerspiegeln, dann müssen wir mit diesen Stereotypen noch bis weit ins 21. Jahrhundert hinein leben.
Wie Gleichheit zu Ungleichheit führt
Aus dem Blickwinkel der Evolution betrachtet, sind Kinder das Ziel der romantischen Liebe. Die Liebe zu den eigenen Kindern bleibt im Leben der Eltern ziemlich konstant, während je nach Land eine von zwei bis drei Ehen mit einer Scheidung endet. Mit mehr als einem Kind stellt sich den Eltern die Frage, wie sie ihre Liebe und Zeit verteilen sollen. Das ist eine entscheidende Frage. Die Überzeugung, dass die eigenen Eltern einen Bruder oder eine Schwester bevorzugen, kann zu erheblicher Rivalität unter Geschwistern führen, ein Thema, das nicht nur Stoff für viele Shakespeare-Stücke lieferte, von Richard III. bis König Lear, sondern auch für psychoanalytische Erklärungen affektiver Störungen.
Die klassische Antwort auf die Frage, wie Eltern ihre Zeit und Ressourcen verteilen sollen, lautet einmal mehr: maximieren. 147 Eltern sollten die Kinder bevorzugen, die es als Erwachsene zu mehr Wohlstand bringen, sowie diejenigen, die sie im Alter unterstützen werden. Nun können Eltern aber die Zukunft nicht vorhersehen und berechnen, welches Kind mehr Nutzen pro Investitionseinheit bringen wird. Eltern und Kinder leben in einer ungewissen Welt, in der der Erfolg von Begabung, Umfeld, Glück und vielen anderen schwer vorhersagbaren Faktoren abhängt. In dieser Situation verlassen sich viele Eltern auf eine einfache Regel:
Teile deine Zeit gleichmäßig unter deinen Kindern auf.
Das ist die gleiche Regel – 1/N –, die erfolgreicher war als nobelpreisgekrönte Aktienportfolios (Kapitel 5). Sie klappt aber auch bei Kindern. Ein Vater zweier Mädchen las einmal seiner jüngeren Tochter eine Gutenachtgeschichte vor, während die ältere die Zeit mit einer Stoppuhr festhielt, um sicherzugehen, dass ihre Schwester nicht mehr Zeit bekam als sie. Eine solche Regel ist einfach, weil sie nicht viel Berechnung benötigt. Gleichzeitig befriedigt sie den Gerechtigkeitssinn der Eltern.
Das könnte man zumindest meinen. Überraschenderweise unterschied sich die Dauer der Zuwendungen, die Geschwister in US -amerikanischen Familien bis zum Alter von 18 Jahren erhielten, erheblich und systematisch voneinander (Abbildung 8.2). Alles in allem verbrachten Eltern die kürzeste Zeit mit mittleren Kindern. Liegt der Grund darin, dass die anderen Geschwister größere Ansprüche stellen? Oder sind mittlere Kinder selbstständiger? Was könnte die Eltern denn sonst zu dieser Ungleichbehandlung veranlassen? Auch wenn Eltern der 1/N-Regel haargenau folgen, hängt das Ergebnis trotzdem von der Zahl der Kinder ab. Nehmen wir eine Familie mit zwei Kindern, in der die Eltern ihre Zeit tage- oder wochenweise gleichmäßig verteilen. Nach 18 Jahren hat jedes Kind die gleiche zeitliche Zuwendung erhalten, was in Abbildung 8.2 durch schwarze Quadrate dargestellt wird. 148 In einer anderen Familie mit drei Kindern nehmen die Eltern ebenfalls eine gerechte Zeitverteilung vor. Bei dieser Familie führen 18 Jahre gleichmäßiger Behandlung der Kinder unabsichtlich zu Ungleichheit: Da mittlere Kinder die Eltern nie alleine haben, sondern deren Zeit und Aufmerksamkeit immer mit mindestens einem Geschwister teilen müssen, erhalten sie auf lange Sicht einen geringeren Anteil an Zuwendung als die Kinder, die vor oder nach ihnen geboren wurden (es sei denn, nur die mittleren erweisen sich als Nesthocker).
Abbildung 8.2: Eltern verbringen mehr Zeit mit ihren Erst- und Letztgeborenen als mit den mittleren Kindern. Warum? Paradoxerweise entsteht das hier dargestellte Muster von Ungleichheit ausgerechnet durch Eltern, die versuchen, die Dauer ihrer Zuwendung täglich oder wöchentlich gleichmäßig auf alle Kinder zu verteilen (1/N-Regel).
In Zwei-Kind-Familien haben beide Geschwister am Ende mit 18 Jahren (schwarze Quadrate) von beiden Eltern zeitlich die gleiche Zuwendung erhalten. Doch in Familien mit drei (weiße Kreise), vier (graue Quadrate) und fünf Kindern (graue Rauten) bekommen die mittleren Kinder zeitlich weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Ihre Benachteiligung wird umso größer, je weiter die Kinder altersmäßig auseinanderliegen. Hier gezeigt am durchschnittlichen Altersunterschied der Kinder, wobei beispielsweise ein Altersunterschied von zwei Jahren Abstände von 1,5 bis 2,5 Jahren einschließt. Daten von 1296 Familien in
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