Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)
Auffassung, Ärzte würden beständig kognitiven Täuschungen unterliegen, den gleichen wie gewöhnliche Menschen. Wäre das richtig, würden auch natürliche Häufigkeiten nichts nutzen. Das tun sie aber. Die Erklärung ist nicht einfach in der Denkfähigkeit der Ärzte zu suchen oder in irgendeiner neuronalen Fehlschaltung oder minderwertigen mentalen Software. Schieben Sie nicht einfach den Ärzten die Schuld in die Schuhe.
Hauptgrund ist das unglaubliche Versäumnis der medizinischen Fakultäten, ihren Studenten ein vernünftiges Rüstzeug an Risikointelligenz zu vermitteln. Der medizinische Fortschritt wird von besseren Technologien erwartet, nicht von besseren Ärzten, die diese Technologien verstehen. Medizinstudenten müssen sich unzählige Fakten über häufige und seltene Krankheiten einprägen. Was sie allerdings selten lernen, sind statistisches Denken und kritische Bewertung wissenschaftlicher Artikel auf ihrem eigenen Gebiet. Das Lernen ist auf das Abschneiden im großen Staatsexamen abgerichtet, das oft wenig Bezug zur klinischen Praxis hat. 164 Mit einer gehörigen Portion Selbstironie erzählen Medizinprofessoren den folgenden Witz:
Zwei Studenten, der eine Biologe, der andere Mediziner, werden aufgefordert, das Telefonbuch auswendig zu lernen. Der Biologiestudent fragt: Warum? Der Medizinstudent fragt: Bis wann?
Wer wird das ändern? Die moralische Verantwortung liegt bei den medizinischen Fakultäten. Wenn ich vor medizinischen Gesellschaften Vorträge zu diesem Thema halte, lautet die Antwort in der Regel, dass niemand ein Interesse daran hat, Ärzte risikointelligent zu machen. Der Versuch, eine Universität zu verändern, ist wie das Aufräumen eines alten Friedhofs. Jeder Professor möchte so viel wie möglich von seinem Spezialgebiet in den Lehrplan und die Köpfe der Studenten packen, sodass einfach kein Platz für irgendetwas anderes bleibt. Glücklicherweise wird hier und da Raum für Veränderungen geschaffen. Einige wenige medizinische Fakultäten haben begonnen, Methoden der Risikokommunikation zu lehren, etwa natürliche Häufigkeiten, und das in ihrem Curriculum festgeschrieben. Doch die meisten medizinischen Fakultäten sind sich des Problems noch nicht einmal bewusst. Schließlich werden die Medizinstudenten in Biostatistik unterrichtet, so denkt man. Doch ein Blick auf Abbildung 9.1 offenbart, wie nutzlos diese Kurse sind.
Während eines Vortrags vor der Österreichischen Ärztekammer erläuterte ich einmal, welche Probleme Ärzte erzeugen, die die Evidenz nicht verstehen. In der anschließenden Diskussion hob ein Mann unter den Zuhörern die Hand. Er stellte sich als Professor an der Medizinischen Universität Wien vor. Das Problem zahlenblinder Ärzte, sagte er, möge ja in New York oder Berlin bestehen, aber doch nicht in Wien. Er selbst lehre Biostatistik und achte darauf, dass jeder Medizinstudent ein grundlegendes Zahlenverständnis erwerbe. Positiv überrascht, gratulierte ich ihm. Daraufhin hob eine junge Frau die Hand. Sie stellte sich als ehemalige Studentin des Professors vor. »Ich habe seinen Kurs in Biostatistik besucht und darf versichern, dass wir gar nichts verstanden haben.«
Die medizinischen Fakultäten sollten rasch handeln, bevor den Patienten klar wird, dass ihre Ärzte die Tests und Behandlungen, die ihnen empfohlen werden, oft selbst nicht verstehen. Während die defensive Medizin das Vertrauen in die Motive der Ärzte untergräbt, steht hier das Vertrauen in ihre Kompetenz auf dem Spiel.
Es geht um die Aktionäre, nicht um die Patienten
Kürzlich hielt ich einen Vortrag über die Zukunft des Gesundheitswesens vor 30 Top-Managern eines führenden Anbieters von Medizintechnik und etwa ebenso vielen Politikern, Vorständen von Krankenversicherungen und Dekanen medizinischer Fakultäten. Es war eine nichtöffentliche Veranstaltung. Ich sprach über den verbreiteten Mangel an Risikointelligenz bei Patienten und Ärzten, die verbreitete Fehlinformation der Öffentlichkeit in Gesundheitsbroschüren, Anzeigen und anderen Medien sowie den beunruhigenden Umstand, dass medizinische Fakultäten ihren Studenten noch immer nicht das Verständnis von Gesundheitsstatistiken vermitteln. In meinem Schlusswort plädierte ich für ein Gesundheitssystem, das sich um besser unterrichtete Patienten und Ärzte bemüht.
Nach meinem Vortrag fand eine Podiumsdiskussion mit dem CEO und einer TV -Moderatorin statt. Ich fragte den CEO , ob seine kapitalkräftige Firma sich
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