Riskante Geschäfte
die turbulente Dramatik seines eigenen Lebens hohl. Was war denn schon diese Castrogeschichte mit den zwei ausgebrannten Schiffen! War sie mehr als der Stoff für den Abenteuerstrip irgendeiner billigen Zeitung? Aber eine zufällige Bemerkung nach einer banalen Abendgesellschaft hatte plötzlich ein wirkliches Drama vor ihm aufgerollt, ein Drama der großen Comédie Humaine, wo die Leidenschaften der Menschen ein wirklicheres Spiel spielen als in allen Geheimdienstverschwörungen der Welt. Bond trat vor den Gouverneur hin und bot ihm die Hand. »Vielen Dank für Ihre Geschichte«, sagte er. »Ich habe Ihnen etwas abzubitten! Zuerst fand ich Mrs. Harvey Miller nur langweilig, aber dank Ihrer Erzählung werd ich sie nicht mehr vergessen. Ich muß mir künftig die Leute wirklich genauer ansehen - das hab ich heute abend gelernt.«
Sie schüttelten einander die Hand. Der Gouverneur lächelte. »Freut mich, daß die Geschichte Sie interessiert hat! Ich war schon in Sorge, Sie zu langweilen - wo Sie doch ein so aufregendes Leben führen! Und um die Wahrheit zu sagen: ich wußte wirklich nicht mehr, worüber wir nach dem Nachtessen hätten sprechen sollen. Das Leben im Kolonialdienst ist ziemlich eintönig.«
Sie sagten einander gute Nacht, und Bond ging die stillen Straßen hinunter zum British Colonial Hotel am Hafen. Er dachte an die Konferenz, die er kommenden Morgen mit der Küstenwache und dem FBI in Miami haben würde, und was ihn noch diesen Nachmittag daran interessiert hatte, schien ihm nun unwesentlich und langweilig.
Der stumme Zeuge
Das Unheil kam um 10 Uhr 30 in einem Taxi aus Kingston in Gestalt eines Mannes, der sich Commander James Bond nannte. Dabei hatte der Tag ganz normal begonnen. Major Dexter Smythe erwachte aus seinem Secconal-Schlaf und schluckte zwei Panadol-Tabletten, weil sein schwaches Herz ihm kein Aspirin erlaubte. Er duschte, setzte sich unter den Sonnenschirm und stocherte in seinem Frühstück herum. Dann verfütterte er die Reste an die Vögel, nahm die vorgeschriebene Dosis Anti-Koagulans und schluckte seine Tabletten gegen den hohen Blutdruck.
Dexter Smythe, Major i. R. der Royal Marines, war nur noch ein Schatten des einst so tapferen und erfolgreichen (besonders bei Frauen) Offiziers der Sondereinheit, in der er die letzten Jahre seiner militärischen Laufbahn verbrachte. Er war nun vierundfünfzig, ein alternder Mann mit schütter werdendem Haar und zunehmendem Äquatorialumfang, der seine zwei ersten Koronar-Thrombosen bereits hinter sich hatte. Dr. Jimmy Greaves, den Smythe bald nach seiner Landung auf Jamaika beim Pokern kennengelernt hatte, bezeichnete den Herzanfall vor einem Monat als »zweite Warnung«. In Smythes Ohren klang das längst nicht so scherzhaft, wie es gemeint war.
In einem seiner gut geschnittenen Anzüge, wenn man die Krampfadern nicht sah und wenn der diskret hinter einem eleganten Kummerbund verborgene Leibgürtel den Bauch zurückdrängte, gab er bei den Cocktail-Parties an der North Shore immer noch eine gute Figur ab. Seine Freunde und Nachbarn konnten nicht begreifen, warum er sich über die strenge Rationierung seines Arztes - zwei Whisky und zehn Zigaretten pro Tag - hinwegsetzte, wie ein Schlot qualmte und grundsätzlich jeden Abend betrunken zu Bett ging.
Dabei war die Erklärung höchst einfach: Jamaika hatte ihn unwiderruflich in den Klauen, er kam von der Insel nicht mehr los. Während er rein äußerlich noch wie ein recht solides Stück Hartholz wirkte, hatten unter der glatten Oberfläche die Termiten der Tropenträgheit, des Sichgehenlassens, der Gewissensbisse wegen einer alten Sünde und ganz allgemein der Ekel über sich selbst den einst harten Kern zu feinem Mehl zerfressen.
Seit Marys Tod vor zwei Jahren hatte er der Liebe entsagt. Vielleicht hatte er auch Mary nicht geliebt, aber er vermißte sie und ihr fröhliches, oft ungereimtes Geplapper. Für den internationalen Pöbel der North Shore, mit dem er sich abgab, hatte er nichts als Verachtung übrig. Vielleicht hätte er mit den Gutsbesitzern im Innern der Insel, mit seriösen Männern, Politikern und anderen gediegenen Leuten Freundschaft schließen können, aber dann hätte er sich nicht mehr so dahintreiben lassen dürfen. Außerdem hatte er keine Lust, auf seine Flasche zu verzichten.
Major Smythe langweilte sich zu Tode. Eigentlich hätte er schon längst eine Überdosis Schlafmittel geschluckt, wenn nicht ein dünner Lebensfaden ihn hier an die Küste gefesselt hätte.
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