Riskante Liebe
auch sein Kopf war noch nicht ganz in Ordnung. Er trank den bitteren Weidenrindentee, den ich ihm gegen die Schmerzen kochte, ganz ohne Widerrede, was für mich ein Zeichen dafür war, dass er unter starkem Kopfweh litt.
Meist lag er mit geschlossenen Augen da und dös te. Während der kurzen Zeitspannen, in denen er wach war, fragte er mich über mein Dorf und die Bewohner aus. Vieles, was er wissen wollte, konnte ich ihm nicht beantworten und kam mir deshalb entsetzlich dumm vor. Ich hatte mir nie darüber Gedanken gemacht, wie lange unser Dorf schon existierte, warum bei uns die Frauen das Sagen hatten und die wenigen Männer unterdrückt, eingesperrt und bewacht wurden. Ich kannte es nicht anders, es war für mich selbstverständlich. Seratta erklärte immer wieder, die Relianten seien wie wilde Tiere, die man nur mit Drohungen und Gewalt in Schach halten könne. Angesichts ihrer mageren Gestalten, ihrer hoffnungslos drein blickenden, erloschenen Augen und ihres schlurfenden Ganges, wenn sie auf die Felder hinaus zum Arbeiten getrieben wurden, konnte ich mir diese Gefährlichkeit zwar nicht vorstellen, aber es war in jedem Fall klug, Serattas Worte niemals anzuzweifeln.
Ich war froh, als er mich danach fragte, wie denn der Fortbestand unserer Gemeinschaft gesichert würde. Das wenigstens wusste ich und erklärte ihm, die von Seratta dazu bestimmten Männer müssten ihren Samen in dafür vorgesehene Schläuche aus Tierdärmen spenden und Jolaria befruchtete damit unmittelbar danach die Frauen, die sich als Säugerinnen zur Verfügung stellten. Sie führte die milchige Flüssigkeit tief in deren Schoß ein, und dann wies sie ihre jeweilige Freiwillige an, mit hochgelegten Beinen und nach oben gekipptem Unterleib eine Zeitlang liegenzubleiben. Ich war oft genug dabei gewesen. Nicht alle trugen danach ein Kind, manche versuchten es mehrfach, einigen war es, wie mir Jolaria anvertraute, von den Göttinnen einfach nicht bestimmt, schwanger zu werden. Ich erzählte ihm auch von der bei uns üblichen Verfahrensweise, die Kinder einen Sommer nach ihrer Geburt in ein Kinderhaus zu bringen und war vollkommen verwirrt, als sich seine Augen zusammenzogen, sich beinahe schwarz färbten und eine kleine Zornesfalte zwischen den Brauen sichtbar wurde. Ungläubig blickte er mich an.
»Willst du damit sagen, dass eure Frauen nie mit einem Mann zusammenliegen? Dass sie ihre Kinder nur tragen, gebären, stillen und danach für immer abgeben müssen? Bist du auch in einem Kinderhaus groß geworden?«
Ich nickte und wiederholte eifrig das, was ich seit meiner frühesten Erinnerung immer wieder hörte.
»Ja, so ist es am besten. Die Frauen können sich nach dem Säugen wieder voll ihren Gemeinschaftsaufgaben, wie Nahrung beschaffen und genießbar machen, Felle bearbeiten, Werkzeug und Geschirr herstellen, widmen. Während sich Erzieherinnen, die jedoch keine Säugerinnen sein dürfen, um das Wohl und die Aufzucht der Kinder kümmern. Und nein, wir Frauen dürfen keinen Kontakt zu den Relianten haben. Sie sind gefährlich und würden uns wehtun. Nur die bewaffneten Wächterinnen passen auf sie auf und geben ihnen Essen und Trinken.«
Er schüttelte verständnislos den Kopf, verzog gleich darauf sein Gesicht und atmete mit geschlossenen Augen tief ein und aus. Ich glaubte schon, er sei eingeschlafen, als er eine erneute Frage stellte, mit der ich wieder nichts anfangen konnte.
»Veeria, wisst ihr eigentlich, was Liebe ist? Was du mir erzählt hast, klingt so, als hättet ihr alle ein sehr hartes, entbehrungsreiches und freudloses Dasein .«
Auf mein energisches Kopfschütteln hin und meine Erwiderung, dass wir sehr wohl Freude empfänden, nämlich dann, wenn eine von uns etwas besonders Außergewöhnliches hergestellt hatte, wir besonders viel zu Essen bekamen oder, wie ich, im Wald umherstreifen durfte, erklärte er:
»Diese Freude meine ich nicht. Du hast keine Ahnung, was Liebe bedeutet, oder? Es ist die Freude und Zuneigung, die man spürt, wenn ein em ein anderer am Herzen liegt. Da besteht ein unsichtbares, aber starkes Band von guten Gefühlen zwischen zwei Menschen. Die größte Liebe entsteht zwischen einer Mutter und ihrem Kind oder zwischen Mann und Frau. Liebe für jemanden zu empfinden bedeutet, das Wohl des anderen über sein eigenes zu stellen. Man verspürt Freude, wenn man den geliebten Menschen sieht, vermisst ihn, wenn er nicht da ist, freut sich, wenn es ihm oder ihr gut geht und ist gewillt, alles für sein
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