Riskante Liebe
Wohlergehen zu tun. Im Ausnahmefall bedeutet dies, sogar sein eigenes Leben für den anderen hinzugeben.«
Bei diesen Worten breitete sich in meiner Brust, auf der Seite, wo das Herz saß, ein warmes Gefühl aus. Ein wenig von dem, was er beschrieb, kannte auch ich, denn für Jolaria spürte ich diese, wie er es nannte, Liebe. Ich war gerne mit ihr zusammen, freute mich, wenn ich sie sah und vermisste sie manchmal bei meinen langen, einsamen Streifzügen durch die Wildnis. Und das, was er über Mütter – das waren in seinen Worten wohl die Säugerinnen – und Kinder gesagt hatte, erklärte die für mich bis dahin nicht nachvollziehbare Trauer und Aufregung unserer Frauen, wenn die Kinder von ihnen weggeholt wurden. Jolarias vertrauliche Worte kamen mir in den Sinn, als sie mir gesagt hatte, die Kinder seien ein Teil ihrer Gebärerinnen und man würde sie ein Leben lang vermissen.
U nd dann erschien blitzartig das Bild von Gordea in meinem Kopf, als sie den getöteten Relianten gesehen, geschrien und so sehr um ihn getrauert hatte. Seratta hatte sie trotz ihrer Verfehlung begnadigt und ihr genehmigt, ihr Kind, das auf unerlaubte Weise entstanden war – wie wusste ich nicht, angeblich hatte ihr der Mann wehgetan – zu gebären. Aber Gordea war immer wunderlicher geworden, sprach nicht mehr und verkroch sich wie ein krankes Tier. Und eines Tages hatte man sie, noch bevor ihr Kind geboren worden war, tot in ihrer Hütte gefunden. Am Schaum vor ihrem Mund erkannte Jolaria, dass sie etwas Giftiges gegessen hatte. Seratta tat, als sei es ein bedauerlicher Unfall gewesen, aber insgeheim ahnten wir alle, dass Gordea ihrem Leben bewusst ein Ende gesetzt hatte. Jetzt konnte ich auch verstehen, weshalb. Ich erzählte Drake Gordeas ganze, traurige Geschichte. Aufgeregt stützte er sich mit den Ellbogen auf und blickte mich triumphierend an.
»Siehst du, genau das meine ich mit Liebe. Sie hat ihn so sehr vermisst, dass sie mit ihrem Kind ohne ihn nicht weiterleben wollte. Eure Anführerin ist eine böse und auch sehr dumme Frau, wenn sie glaubt, auf diese Weise – indem sie Frauen bevorzugt, Männer unterdrückt, alle Bindungen verbietet und Zwietracht sät – über euch herrschen zu können. Das kann eine ganze Zeitlang gutgehen, aber es wird immer mehr Menschen geben, die zuerst heimlich, dann offen dagegen aufbegehren und irgendwann wird man sie stürzen. Unterdrückung und der Versuch, natürliche Verhaltensweisen zu untersagen, werden immer durch Auflehnung beendet.«
Der Gedanke, dass Seratta, unsere allmächtige und sich allwissend gebende Herrscherin, seiner Meinung nach dumm, sogar sehr dumm war und irgendwann gestürzt werden könnte, ließ unwillkürlich ein sonderbar freudiges Gefühl, eine seltsame Heiterkeit, in mir aufsteigen. Ich spürte, wie sich die Winkel meines Mundes ganz ohne bewusstes Zutun nach oben schoben und meiner Kehle entrann eine Art Glucksen, gleich darauf ein paar Laute, die ich zuletzt in meiner Kindheit von mir gegeben hatte. Drake, der mich aufmerksam beobachtete, musste ebenfalls lachen. Seine leuchtend grünen Augen blitzten mich an.
»Du solltest viel öfter lachen, Veeria. Du siehst wunderschön aus, wenn du fröhlich bist. Eben wie eine Waldfee.«
Noch bevor ich ihn fragen konnte, was dieses Wort mit dem „schön“ am Ende bedeutete und was genau eine Waldfee war, hatte er seine Augen wieder geschlossen und war eingeschlafen.
Er schlief lange, wachte bei Einbruch der Dunkelheit einmal kurz auf, trank etwas , kaute an dem Stück Trockenfleisch, das ich ihm reichte und bald darauf erkannte ich an seinen regelmäßigen Atemzügen, dass sich sein Körper erneut im Schlaf erholte. Ich kümmerte mich um das Feuer, blieb noch eine Weile sitzen, lauschte dem nahen Ruf eines Käuzchens, den trippelnden Schritten und dem gleich darauffolgenden schrillen Todesschrei eines Kleinnagers, und rollte mich dann auf meinem Fell zusammen. Bevor mir die Augen zufielen, nahm ich mir vor, Drake morgen nach seinem Dorf – er hatte dafür irgendein Wort, das wie „Staa“ klang, verwendet – und den Leuten, mit denen er zusammenlebte, auszufragen.
Bis jetzt hatte ich niemals auch nur einen Gedanken daran verschwendet, darüber nachzugrübeln, ob es außer uns und unserem Dorf noch andere Ansiedlungen mit Menschen gab. Ich war ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass wir die einzigen Bewohner dieser Erde waren.
Jo laria hatte mir vor einigen Sommer beim Kräutersammeln im Wald erzählt,
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