Riskante Liebe
dass meine Kräutermischung ihr helfen wird und es nichts Schlimmeres ist. Durch ihr Unwohlsein ist sie noch übler gelaunt als sonst.«
Ich ließ Jolaria nichts von meiner jäh aufblitzenden Hoffnung, Seratta könne ernsthaft krank sein, spüren. Ich wünschte normalerweise keinem anderen Menschen Schmerz oder Leid, aber mein innerer Hass auf unsere Anführerin war mittlerweile so groß geworden, dass es mir nichts ausmachte, mir Seratta krank, elend und hilflos vorzustellen. Ganz im Gegenteil, dann würde sie endlich einmal nicht mehr alles an sich reißen, jedem in seine Arbeit hineinreden und lautlos an den unmöglichsten Stellen auftauchen. So, dass jede von uns in ständiger Furcht vor ihr, ihren bösen Bemerkungen und oft unbegründeten Bestrafungen für die harmlosesten Vergehen lebte.
Ich verstieg mich sogar zu der wunderbaren Vorstellung, sie würde sterben und wir alle könnten dann ein anderes, besseres und freieres Leben, vielleicht sogar zusammen mit den Relianten, führen. So ähnlich, wie Drake mir das Zusammenleben von Frauen und Männern in seiner Heimat beschrieben hatte. Drake! Bei dem Gedanken an ihn wurde mir die Brust eng. Wie sollte ich mein Leben ohne ihn weiterführen? Nur mit der Erinnerung an die kurze, schöne Zeit, die ich mit ihm zusammen verbracht hatte?
Entsetzt spürte ich meine Augen wieder nass werden. Ich musste diese Regung unbedingt unter Kontrolle bekommen, sonst würden die anderen, allen voran Seratta, sehr schnell misstrauisch werden. Glücklicherweise war Jolaria immer noch ganz in die Betrachtung meiner mitgebrachten Felle vertieft und bemerkte nicht, dass ich mir rasch die Augen auswischte.
Ich musste dringend aufhören, in meinen Gedanken immer noch im Wald und bei Drake zu sein. Energisch stapelte ich die Fleischbrocken in einen von Jolaria geflochtenen Korb und schickte mich an, sie wie angewiesen, den Frauen, die für die Zubereitung zuständig waren, zu bringen.
Selbst das Festmahl, welches an diesem Abend auf dem freien Platz inmitten aller Hütten stattfand, konnte mich nicht aus meiner traurigen Stimm ung herausreißen. Jolarias Tee schien Seratta tatsächlich geholfen zu haben. Sie verschlang riesige gebratene Fleischstücke, ihre Wächterinnen taten es ihr gleich, und wir anderen bekamen das, was übrig blieb. Die Abfälle und Knochen wurden den Relianten über den Zaun geworfen. Alle konnten ihren Hunger auf Fleisch wieder einmal stillen. Dennoch herrschte bei diesem Essen keinerlei gute Stimmung oder wenigstens Frieden unter den Frauen. Jede war auf ihren Vorteil bedacht, und sie stritten sich wie die Hyänen um das, was für sie übrig blieb. Auch die Wächterinnen waren nicht viel besser. Unter dem Vorwand, von den letzten Tagen her sehr müde zu sein, bat ich Seratta unmittelbar nach dem Essen um die Erlaubnis, mich in die Hütte zurückziehen zu dürfen. Hoheitsvoll nickte sie.
»Da wir dieses Essen dir zu verdanken haben, Veeria, darfst du dich selbstverständlich zu deiner wohlverdienten Ruhe begeben.« Boshaft setzte sie hinzu: »Und an den kommenden Tagen kannst du dann unserer Kleidermacherin dabei helfen, deine mitgebrachten Felle zu verarbeiten!«
Das war typisch für Seratta. Sie erteilte Privilegien, sorgte aber dafür, dass dadurch keine übermütig wurde, indem sie gleich eine unbeliebte Arbeit hinterherschob. Sie wusste genau, dass mir das eintönige Abschaben und Walken der Felle zutiefst zuwider war und ich jede andere Tätigkeit, bei der man nicht in einer engen Hütte stillsitzen musste, bevorzugt hätte. Ich nickte ihr zu, wünschte allen einen guten Schlaf und zog mich niedergeschlagen in die Hütte zurück. Obwohl mein Körper und mein Geist schwer von Müdigkeit waren, konnte ich lange nicht einschlafen, wälzte mich auf meinem ungewohnten Lager hin und her und sah Drake in meinen Gedanken vor mir, wie er, in seinem Hubschrauber sitzend, in Richtung Sonne davon flog.
Heißer Schmerz durchflutete meinen Körper und meine Seele. Alles erschien mir sinnlos ohne ihn. Wie sollte ich es fertigbringen, hier in diesem Dorf, wo mir alle, bis auf Jolaria, fremd und gleichgültig waren, so weiterzuleben wie bisher? Ich hatte angenehme, schöne Gefühle nie gekannt und deshalb auch nie vermisst, bis ich auf diesen Mann traf, den mir buchstäblich der Himmel geschickt hatte. Vorher hatte ich alles hingenommen, hatte mich auf meine Jagdausflüge gefreut und meine Freiheit im Wald genossen , sowie die Einsamkeit dort, die mir nun unerträglich
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