Riskante Liebe
nicht mit ihrer unbändigen Stärke und Wut gerechnet. Sie hat ihn umgebracht. Und von dem Tag an hielt sie alle Männer für gefährlich. Unter dem Vorwand, eine Art abgeschlossenen Vorratsplatz für Nahrung anlegen zu wollen, brachte sie das gesamte Dorf dazu, mit ihr und ihren Wächterinnen das Gatter zu bauen. Kaum war es fertig, trieben sie mit ihren Speeren alle Männer und männliche Kinder, die über zwölf Sommer lebten, hinter den Zaun und sperrten sie dort ein. Versuche von Frauen, ihre Männer oder Söhne zu befreien oder Fluchtversuche der Eingesperrten wurden unter Todesstrafe gestellt. Damals begannen die Menschenjagden.«
Jolaria sah mich eindringlich an.
»Veeria, das bleibt unter uns. Seratta ist gefährlich. Sie wird alles tun, um ihrer Macht behalten zu können. Ihr Geist ist von Grausamkeit erfüllt.«
In dieser Nacht wälzte ich mich erneut schlaflos auf meinem Lager hin und her. All meine Gedanken waren in meiner Höhle, bei den letzten Tagen und bei Drake. Nach einem erneuten, langen, öden Arbeitstag bei Torea lief ich abends lustlos den Weg zwischen den Hütten zu Jolaria zurück. Heute war das sommerliche Wetter zurückgekehrt, die Sonne schien warm vom Himmel und wir hatten glücklicherweise im Freien auf dem Dorfplatz arbeiten können. Aber ich hatte mich in Gesellschaft der anderen Frauen einfach nicht wohl gefühlt. Ich war eine Außenseiterin für sie. Eine, die eher selten im Dorf anwesend war, die von Seratta für ihre Arbeit gelobt wurde, etwas, was sehr selten vorkam. Daher reagierten sie auf mich misstrauisch, redeten nichts mit mir und tuschelten in meiner Nähe, wohl über Dinge, die ich nicht hören sollte. Ich tat, als würde ich nichts bemerken, schwieg, erledigte meine Arbeit und wunderte mich, dass wir von Seratta unbehelligt blieben. Ich kam mir den anderen gegenüber, obwohl viele älter waren als ich, innerlich überlegen vor. Ich wusste nun, dass Männer keineswegs eingesperrt gehörten und auch nicht gefährlich waren, wie uns von klein auf anerzogen wurde.
In der Hütte erwartete mich eine unangenehme Überraschung. Auf J olarias Schlafstelle lag unsere Anführerin. Ihr Gesicht war ungewöhnlich blass, ihre Augen waren geschlossen. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn und sie stöhnte leise. Jolaria legte ihr gerade einen kühlenden Blätterumschlag auf die Stirn. Als sie mich erblickte, bedeutete sie mir, leise zu sein. Sie winkte mich hinaus vor den Eingang.
»Es geht ihr schlechter. Sie wird heute Nacht hierbleiben müsse n, damit ich mich um sie kümmern kann.«
Mein Bedauern über Serattas Zustand hielt sich in Grenzen. Nun war ich auch noch gezwungen, mit dieser Frau zusammen in einer Hütte zu schlafen. Schlafen war ohnehin zu viel verlangt. Die ganze Nacht lang stöhnte Seratta, erbrach sich und beschmutzte ihre Schlaffelle. Jolaria war unermüdlich mit ihrer Pflege beschäftigt. Sie kochte ständig Tee, den sie der Kranken einflößte, säuberte und wusch sie und legte ihr, wenn sich Seratta unruhig hin und her wälzte, beruhigend die Hand auf die Stirn. Ich bewunderte sie dafür.
Am frühen Morgen, Seratta war gerade in einen unruhigen Dämmerschlaf versunken, winkte mich Jolaria zu sich her. Was sie mir zu sagen hatte, ließ mein Herz hüpfen.
»Veeria, mein Kind, es ist besser, du gehst für die nächsten Tage zurück in den Wald. Seratta geht es nicht gut und einige andere Frauen haben gestern bei mir über ähnliche Beschwerden geklagt und sich Tee und Kräuter von mir geben lassen. Ich möchte vermeiden, dass du diese Krankheit auch bekommst. Und wir brauchen neue Felle für Decken und auch Fleisch, damit die Genesenen wieder zu Kräften kommen. Ich kläre das mit Seratta, wenn sie wach ist. Hab keine Sorge, sie wird damit einverstanden sein.«
Obwohl ich innerlich jubelte bei der Aussicht darauf, dem Dorf so rasch wieder den Rücken kehren zu dürfen, sah ich Jolaria zweifelnd an. Sie wirkte, nach der durchwachten Nacht, erschöpft und mein schlechtes Gewissen regte sich. Ich kannte mich mit Kräutern und Krankheiten ebenfalls ein wenig aus, wenn auch nicht so gut wie meine L ehrmeisterin. Eine innere Stimme flüsterte mir zu, ich solle hierbleiben und ihr helfen, vor allem, wenn es, wie sie sagte, noch mehr Kranke geben würde.
Jolaria durchschaute mich.
»Geh nur, Veeria. Ich schaffe das durchaus allein. Mir können auch die anderen helfen. Aber nur du kannst gut jagen.« Ihre braunen Augen leuchteten mich aus ihrem ebenmäßigen Gesicht
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