Riskante Nächte
Herzstillstand führt.«
»Und ich gehe ins Wasser, haben Sie sich das so vorgestellt?«
»Ich fürchte ja. Sie werden einen rührenden Abschiedsbrief hinterlassen, in dem Sie erklären, Sie hätten Ihr Herz an Mr. Stalbridge verloren, doch Sie wüssten, dass die Liaison aufgrund der großen gesellschaftlichen Kluft zwischen Ihnen zum Scheitern verurteilt sei. Frauen springen doch ständig wegen verbotener Liebschaften von irgendwelchen Brücken. Erstaunlich, finden Sie nicht?« Victoria schüttelte den Kopf. »Ich habe nie verstanden, wieso sich jemand aus Liebe umbringt, aber: jedem das Seine.«
»Mr. Stalbridge wird es nicht glauben.«
»Meine liebe Mrs. Bryce. Sie verstehen wirklich nichts von Männern. Ich erklärte Ihnen bereits, dass Stalbridge sich nur für Sie interessiert, weil er denkt, Sie könnten ihm dabei helfen, Hastings zu Fall zu bringen. Glauben Sie mir, sobald er hört, dass Hastings tot ist, ist die Sache für ihn erledigt. Es gibt keinen Grund, weshalb er sich gezwungen sehen sollte, Ihren Tod näher zu untersuchen. Sie sind ihm nicht wichtig genug.«
»Ich denke, Sie sind es, die Gefahr läuft, Mr. Stalbridge falsch einzuschätzen. Ich stimme Ihnen zu, dass er mich nicht liebt, aber ich versichere Ihnen, dass er sich verpflichtet fühlen wird, mein plötzliches Ableben zu untersuchen.«
»Sie machen sich etwas vor, Mrs. Bryce.« Victoria hielt kurz inne. »Wissen Sie, ich bedauere, dass es notwendig ist, Sie zu töten.«
»Erwarten Sie wirklich, dass ich Ihnen das glaube?«
»Es ist wahr. Einmal abgesehen von Ihren erschreckend naiven Ansichten bezüglich Anthony Stalbridge, sind Sie eine interessante Frau. Ich bewundere Ihre Leistungen als Journalistin. Unter anderen Umständen hätte ich Sie gerne näher kennengelernt. Ich bin überzeugt, wir hätten uns viel zu sagen gehabt.«
»Das bezweifle ich.«
Victoria ignorierte die Bemerkung. »Leider sind Sie aufgrund Ihrer journalistischen Bemühungen zu einem Problem für mich geworden. Es lag auf der Hand, dass Ihre Nachforschungen Sie der Wahrheit immer näher brachten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Sie meine wahre Identität herausgefunden hätten. Leider befinden Sie sich in der gleichen Lage wie Fiona Risby. Ich fürchte, Sie wissen zu viel, Mrs. Bryce. Ich kann nach Hastings’ Ableben meinen Platz in der Gesellschaft kaum wieder einnehmen und neue Anlagegeschäfte ersinnen, wenn eine Reporterin des Flying Intelligencer weiß, dass die trauernde Witwe die ehemalige Besitzerin eines Bordells ist.«
46
Marcus stemmte die Hände in die Hüften und spähte hinauf zu den beleuchteten Fenstern im obersten Stockwerk vom Phoenix House. »Bist du sicher, sie ist dort?«
»Nein«, gestand Anthony, »aber es besteht die Möglichkeit. Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, wo ich sonst nach ihr suchen sollte.«
Sie standen in der Gasse hinter dem Bordell. Anthony und sein Vater trugen grobe Arbeiterkleidung, die sie eilig in einem Geschäft in der Oxford Street erworben hatten. Beide hatten ihre Kopfbedeckung tief ins Gesicht gezogen. Hinter ihnen standen Pferd und Wagen. Die Dunkelheit der Nacht gab ihnen zusätzlich Deckung.
Er wusste nur zu gut, dass sein Plan, wenn man das Vorhaben denn so nennen wollte, die Ausgeburt blanker Verzweiflung war. Doch ihm war nichts Besseres eingefallen, und seine Intuition sagte ihm, dass die Zeit knapp wurde. Er mochte es sich nicht erlauben, auch nur an die Möglichkeit zu denken, dass Louisa bereits tot sein könnte; es würde ihn wahnsinnig machen.
»Es ist unwahrscheinlich, dass sie jemanden im Erdgeschoss gefangen halten würden«, sagte er. »Es wäre zu auffällig. Roberta Woods erzählte mir, das Bordell sei auf den Fundamenten eines alten Klosters erbaut worden und es gebe einige alte unterirdische Kellergewölbe. Sobald der Aufruhr beginnt, mache ich mich dort auf die Suche.«
»Und ich arbeite mich vom obersten Stock nach unten«, erklärte Marcus.
»Wir treffen uns im Küchentrakt.«
Marcus sah Anthony durchdringend an. »Was tun wir, wenn wir sie nicht finden?«
»Ich habe nicht vor, das Haus mit leeren Händen zu verlassen«, sagte Anthony tonlos. »Wenn wir Louisa nicht finden, werde ich mir wenigstens Madame Phoenix oder Quinby schnappen. Ich vermute, jeder der beiden kann mir die Wahrheit erzählen.«
Marcus zog die buschigen Augenbrauen hoch. »Immer vorausgesetzt, er oder sie reden mit dir.«
Anthony ballte die Hand zur Faust. »Einer wird schon reden.«
Marcus
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