Riskante Nächte
Neuigkeit allein wäre schon sensationell genug, um Mr. Spraggett, dem Herausgeber des Flying Intelligencer, zu genügen. Spraggett rühmte sich, seiner Leserschaft nur die schauerlichsten und fesselndsten Nachrichten zu präsentieren. Die Enthüllung, dass ein hochgestellter Gentleman aus der feinen Gesellschaft Teilhaber eines Freudenhauses war, würde viele Zeitungen verkaufen.
Doch was, wenn Anthony recht hatte und Hastings außerdem ein Mörder war? Das wäre eine Meldung, die die feine Gesellschaft bis ins Mark erschüttern würde, vom Rest des Landes ganz zu schweigen. Ihr Herz schlug schneller ob der Aussicht, einen Mörder seiner gerechten Strafe zuzuführen.
Eine Stunde später ertönten vertraut energische Schritte im Flur, dann klopfte es scharf und laut an der Tür des Arbeitszimmers.
»Kommen Sie herein, Emma«, rief Louisa.
Die Tür ging auf. Emma, Lady Ashton, marschierte ins Zimmer. Emma kannte kein schlichtes Gehen oder Schlendern; sie marschierte. Sie war eine große, unbeugsame Frau, die die Statur einer griechischen Statue und ihre ganz eigene Weltanschauung besaß.
Heute trug sie ein bequem geschnittenes bronzefarbenes Kleid. Ihr silbergraues Haar war am Hinterkopf zu einem strammen Chignon aufgesteckt. Sie war mit ihren dreiundsechzig Jahren noch immer eine attraktive Frau. Und eine ausgesprochen beeindruckende Frau. Nachdem sie bereits in jungen Jahren ihren Mann verloren hatte, trotzte Emma allen Konventionen und machte sich auf, die Welt zu bereisen. Wieder nach England zurückgekehrt, hatten Reichtum, gute Abstammung und soziale Verbindungen es ihr erlaubt, den Platz in der feinen Gesellschaft einzunehmen, der ihr zustand.
Vor etwas über einem Jahr hatte sie sich an eine Agentur gewandt, die Gesellschafterinnen und Gouvernanten vermittelte. Emma beabsichtigte, ihre Memoiren zu schreiben. Sie suchte nach einer Lady mit unbescholtenem Charakter und solider Bildung, die moderne Ansichten vertrat, um ihr bei diesem Vorhaben behilflich zu sein.
Sie hatte es erfolglos mit einem halben Dutzend Ladys mit unbescholtenem Charakter und solider Bildung und angeblich modernen Ansichten versucht, bevor ihr die Agentur verzweifelt ihre neueste Bewerberin geschickt hatte. Louisa und Emma verstanden sich auf Anhieb.
»Wir werden verbreiten, dass Sie eine entfernte Verwandte sind«, hatte Emma bei einer gemeinsamen Tasse Tee verkündet. »Auf die Weise wird man Sie mit mehr Respekt behandeln, als wenn bekannt wäre, dass Sie meine Gesellschafterin und Sekretärin sind.«
Als Emma schließlich feststellte, dass Louisa nur zwei der drei Voraussetzungen erfüllte, die sie der Agentur gegenüber gefordert hatte, war sie längst bereit, die fehlende Qualifikation zu übersehen.
Louisa würde Emmas Urteil niemals vergessen. Es war dazu nach einem besonders schlimmen Albtraum gekommen, der Louisa völlig aufgelöst zurückgelassen hatte. Als Emma ihr Trost spenden wollte, war Louisa zusammengebrochen und hatte ihr schluchzend berichtet, was in der Nacht geschehen war, als sie Lord Gavin mit einem Schürhaken den Schädel eingeschlagen hatte.
Das Bedürfnis, ihr schreckliches Geheimnis einer freundlichen Seele anzuvertrauen, war überwältigend. Sie kannte Emma inzwischen gut genug, um sicher zu sein, dass ihre Dienstherrin kaum die Polizei rufen würde. Emma vertrat schließlich ausgesprochen moderne Ansichten. Sie hatte Louisas Schilderung der Geschehnisse geglaubt. Dennoch, wer wollte schon mit einer Mörderin unter einem Dach leben?
Nachdem Louisa ihr Herz ausgeschüttet und sich für die Täuschung entschuldigt hatte, wappnete sie sich für die zwangsläufige Entlassung. Doch stattdessen hatte Emma ihr auf die Schulter geklopft und gesagt: »Machen Sie sich keine Sorgen, meine Liebe. Der Wert eines unbescholtenen Charakters wird meiner Meinung nach sehr überschätzt.«
»Guten Morgen, Louisa.« Emma stellte sich vor den Kamin, um sich am Feuer zu wärmen. »Sie sind recht früh auf, in Anbetracht dessen, dass sie gestern erst spät nach Hause kamen. Ich habe Sie nicht einmal heimkommen hören.«
Louisa legte den Federhalter beiseite. »Ich wollte Sie nicht wecken.«
Emma trat an den Schreibtisch. In ihren blauen Augen blitzte unverhohlene Neugier. »Und was sind das für Neuigkeiten? Anthony Stalbridge. Als der Diener mir Ihre Nachricht brachte, hätte es mich beinahe umgehauen.«
»Das bezweifle ich sehr. Sie haut nichts um, Emma.«
»Von allen Gentlemen, mit denen Sie sich gestern
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