Riskante Nächte
Verbindung«, fuhr Emma fort. »Beide Familien waren sehr erfreut darüber. Die Stalbridges und die Risbys waren seit Jahren eng befreundet. Ihre Anwesen im Norden grenzen aneinander.«
»Verstehe«, sagte Louisa abermals. Sie bemerkte, dass sie mit solcher Kraft trommelte, dass die Federhalterspitze kleine Dellen auf der Schreibtischunterlage hinterließ. Sie zwang sich, den Federhalter hinzulegen.
»Ich sollte erwähnen, dass es im letzten Jahr noch andere Gerüchte gab«, fuhr Emma ernst fort. »Gerüchte, die bedeutend schlimmer waren als das Gerede über eine gelöste Verlobung.«
Louisa setzte sich schockiert auf. Sie sah Emma forschend an. »Es hat doch wohl niemand angedeutet, dass Mr. Stalbridge Fiona Risby ermordet hätte.«
»Ich muss leider zugeben, dass es einige Spekulationen in dieser Richtung gab.«
»Was? Warum sollte er so etwas tun? Welches Motiv könnte er denn gehabt haben?«
Emma sah ihr tief in die Augen. »Es gab Gerüchte, Mr. Stalbridge hätte Fiona in den Armen eines anderen Mannes ertappt.«
Louisa lief eine Gänsehaut über den Rücken. »Aber Sie haben doch sicherlich nicht geglaubt, dass er Fiona ermordet hat?«
»Meine Liebe, wenn ich eines im Verlauf meiner Reisen gelernt habe, dann dass jeder Mann und jede Frau, ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Stellung oder des Grades der Zivilisation, unter gewissen Umständen zum Mord getrieben werden kann.« Emma sah sie eindringlich an. »Die einzige Frage ist, welche Umstände den jeweiligen Menschen dazu bringen würden.«
Louisa schluckte schwer. »Ich kann Ihrer Schlussfolgerung nichts entgegenhalten.«
Emmas Züge wurden sanfter. »Bitte verzeihen Sie mir. Ich wollte nicht …«
»Sie müssen sich nicht entschuldigen. Sie haben recht, Emma. Dennoch denke ich, wir können mit einiger Gewissheit davon ausgehen, dass Mr. Stalbridge Fiona Risby nicht ermordet hat.«
»Was macht Sie da so sicher?« Emma klang neugierig.
»Wenn er sie ermordet hätte, würde er wohl kaum nach dem wahren Mörder suchen.«
»Der Verlust seiner Verlobten liegt etwas über ein Jahr zurück«, sagte Emma ruhig. »Mr. Stalbridge ist zweifellos auf der Suche nach einer neuen Frau, doch die alten Gerüchte dürften dies sehr erschweren. Unter normalen Umständen könnte er sich eine Braut aus den angesehensten Familien auswählen. Wie ich Ihnen ja schon erzählte, können sich die Stalbridges eines sehr erlesenen Stammbaums rühmen, und jetzt, da sie wieder zu Reichtum gekommen sind, haben sie eine unanfechtbare Position in der feinen Gesellschaft inne. Im Lichte dieses Skandals allerdings …«
Emma verstummte und zuckte vielsagend die Achseln.
Louisa spürte, wie sich ihr Herz zusammenschnürte. »Ich verstehe, was Sie sagen wollen. Viele der besten Familien würden zögern, ihre Tochter an einen Gentleman zu verheiraten, von dem das Gerücht geht, er hätte eine andere Frau ermordet.«
»Selbst wenn sie dem Tratsch keinen Glauben schenkten, würden sie auf jeden Fall zögern, eine Tochter mit einem Gentleman zu verloben, von dem es heißt, er hätte seine erste Verlobte verstoßen. Was, wenn er es wieder täte? Besorgte Eltern würden sich hüten, ihre Tochter dieser gesellschaftlichen Demütigung auszusetzen.«
»Mit anderen Worten, ob er sich nun schuldig gemacht hat, Fiona verstoßen oder sie ermordet zu haben, er hat in jedem Fall ein gutes Motiv, es so hinzustellen, als wäre sie von jemand anderem umgebracht worden«, schloss Louisa.
»Er bräuchte überzeugende Beweise, doch wenn er die lieferte, würde die feine Welt ihn für unschuldig erachten. Und dann stünde einer Heirat mit einer weiteren reichen Erbin, die ihm zweifellos von ausgesprochen begeisterten Eltern zugeführt würde, nichts mehr im Wege.«
8
Elwin Hastings betrachtete über den Schreibtisch hinweg die junge Frau, die er vor zwei Monaten geheiratet hatte. Ihm war bewusst, dass viele Männer ihn beneideten. Lilly, mit ihrem schicken grünen Kleid und ihrem honigbraunen Haar, das jeden Morgen von einem Friseur kunstvoll aufgesteckt wurde, war wunderschön.
Er musste all seine Willenskraft aufbieten, um nicht nach der schweren Kristallvase auf seinem Schreibtisch zu greifen und sie Lilly an ihren hohlen Kopf zu werfen.
»Nächstes Mal zeigst du mir die Gästeliste, bevor du Crompton beauftragst, die Einladungen zu verschicken«, befahl er. »Hast du das verstanden?«
»Ja, natürlich.« Lilly verkrampfte die Hände in ihrem Schoß. Hass loderte in ihren Augen. »Aber
Weitere Kostenlose Bücher