Riskante Nächte
allen Gästelisten gestrichen werden, wenn sich das herumspräche. Sie würde nie wieder eine Einladung erhalten.«
»In der Tat.«
Marcus strich sich nachdenklich über das Kinn. »Das ist unglaublich. Schlichtweg unglaublich.«
»Erinnern Sie sich an den Bromley-Skandal?«
»Aber natürlich. Was für eine Sensation das war! Wer hätte gedacht, dass dieser aufgeblasene Tugendbold Lord Bromley Geld mit einer Kette von Opiumhöhlen machte. Als der Flying Intelligencer diese Enthüllung druckte, war Lord Bromley gezwungen, das Land zu verlassen und sich auf eine ausgedehnte Amerika-Reise zu begeben. Bislang hat er noch nicht gewagt, zurückzukehren.«
»Es war Mrs. Bryce, die die ersten Artikel schrieb und der Öffentlichkeit die Beweise präsentierte. Sie schreibt unter dem Pseudonym I. M. Phantom.«
»Sie ist also Phantom.« Marcus runzelte die Stirn. »Und jetzt ist sie hinter Hastings her. Wer hätte das gedacht?«
»Ich habe versucht, ihr die Nachforschungen auszureden, aber sie will nichts davon hören. Ich fühle mich verantwortlich, darauf achtzugeben, dass sie nicht zu Schaden kommt. Darum habe ich zugestimmt, in dieser Angelegenheit mit ihr zusammenzuarbeiten. Für die absehbare Zukunft wird es in den Augen der Welt so aussehen, als hätten sie und ich eine Liaison.«
»Verstehe.« Marcus sah ihn spitzbübisch an. »Und habt ihr?«
»Ich versichere Ihnen, unsere Beziehung ist rein geschäftlich.«
»Laut deiner Großmutter glauben alle, du hättest tatsächlich eine Liebesbeziehung mit Mrs. Bryce.«
»Genau das ist meine Absicht, Sir. Mit etwas Glück wird uns der Tratsch als Tarnung dienen. Wenn die feine Gesellschaft einschließlich Hastings glaubt, Mrs. Bryce und ich hätten eine Liebesaffäre, dann werden sie nicht so schnell erraten, was wir wirklich im Schilde führen.«
»Eine interessante Theorie«, bemerkte Marcus ausdruckslos.
»Leider ist es die einzige, die ich habe. Ich verabschiede mich, Sir.«
Anthony verließ die Werkstatt und eilte zur Treppe. Halb erwartete er, dass Clarice ihm im Vestibül auflauerte, doch das Glück war auf seiner Seite. Unten war niemand zu entdecken. Trotzdem atmete er erst wieder befreit, als er draußen auf der Straße stand.
Marcus wartete, bis er hörte, wie sich die Haustür öffnete und wieder schloss. Als er sicher sein konnte, dass Anthony gegangen war, legte er seine Lederschürze ab und ging nach unten in die Bibliothek.
Georgiana und Clarice tranken gemeinsam Tee. Als er eintrat, sahen sie ihn erwartungsvoll an.
»Hat Tony Ihnen irgendetwas über seine Verbindung zu Mrs. Bryce erzählt, Papa?«, fragte Clarice.
»Ein wenig.« Marcus nahm die Tasse Tee entgegen, die Georgiana ihm hinhielt. »Es ist alles ganz unglaublich. Völlig bizarr.«
»Meinst du, es ist ihm mit ihr ernst?«, wollte Georgiana wissen. »Oder ist sie nur eine flüchtige Liebelei?«
»Sie ist keine flüchtige Liebelei«, versicherte Marcus im Brustton der Überzeugung. »Obgleich ich nicht glaube, dass Tony sich dessen bereits bewusst ist. Er ist noch immer versessen darauf, Fionas Mörder zu finden.«
»Was hältst du von Mrs. Bryce?«, fragte Georgiana.
»Schwer zu sagen. Ich bin der Frau ja noch nie begegnet.« Marcus trank einen Schluck Tee und setzte die Tasse wieder ab. »Aber nach allem, was ich bis jetzt gehört habe, denke ich, dass sie ausgezeichnet in diese Familie passen würde.«
13
Miranda Fawcett war einverstanden, sich am folgenden Tag mit ihnen zu treffen. Sie empfing Louisa und Anthony in einem Salon, der dem Foyer eines eleganten Theaters ähnelte. Rote Samtvorhänge mit Goldlitzen rahmten die Fenster ein. Der Teppich war scharlachrot mit einem verschlungenen Blumenmuster. Das Sofa und die Sessel waren vergoldet und in goldfarbenem Satin aufgepolstert. An der Decke hing ein ausladender Kristallkronleuchter.
Miranda, in einem türkisblauen Nachmittagskleid und mit Perlen behängt, war ebenso atemberaubend. Sie trug ihr Haar zu einer beeindruckenden Krone aufgesteckt, deren Perfektion etliche Stunden Arbeit vermuten ließ. Louisa war überzeugt, dass ihre Gastgeberin eine Perücke trug. Nur wenige Frauen in Mirandas Alter – oder auch in jedem anderen Alter, um genau zu sein – besaßen einen so vollen Haarschopf. Die tiefbraune Farbe war ebenfalls verdächtig.
»Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Mr. Stalbridge.« Miranda strahlte Anthony an, während er sich zum Handkuss herabbeugte.
»Das Vergnügen ist ganz meinerseits,
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