Riskante Nächte
hübsch genug für die allgemeine Kundschaft. Es bestand nur Bedarf an einer Frau, die bereit war, speziellere Wünsche zu befriedigen. Einige der Gentlemen mochten es etwas zupackender, hatte Madame Phoenix erklärt. Es errege sie, aber niemand käme dabei ernstlich zu Schaden.
Daisy stand mühsam auf und betrachtete sich in dem gesprungenen Spiegel über dem Waschtisch. Sie hatte zwei blaue Augen. Ihr Kiefer war dick geschwollen. Sie fürchtete sich davor, den Rest ihres Körpers in Augenschein zu nehmen.
Diesmal hatte sie schwere Verletzungen davongetragen. Nächstes Mal könnte es tödlich enden. Wenn sie dazu verdammt war, im Alter von nur zweiundzwanzig Jahren zu sterben, dann lieber von eigener Hand. Der Teufel sollte sie holen, wenn sie dieses Privileg einem Gentleman überließ, der wahrscheinlich zum Höhepunkt kam, während sie durch seine Brutalität ihr Leben aushauchte.
Aller Hoffnungslosigkeit und der Entschlossenheit, den letzten Ausweg zu wählen, zum Trotz, gewann schließlich doch ihr Überlebenswille die Oberhand. Sie hatte Gerüchte von einer Einrichtung in der Swanton Lane gehört, wo Dirnen eine warme Mahlzeit erhielten. Es hieß, dass die Frau, die jene Einrichtung leitete, manchmal anderen Frauen helfen konnte, unter einem neuen Namen ehrliche Arbeit zu finden.
Was habe ich schon zu verlieren?, überlegte Daisy. Doch sie musste sich vorsehen. Madame Phoenix war eiskalt und durch und durch gewissenlos. Es wurde gemunkelt, sie würde hinter dem mysteriösen Verschwinden der vorigen Madame stecken. Und der Mann mit den kalten, grausamen Augen, den sie in ihrem Boudoir empfing, wirkte sogar noch gefährlicher.
Daisy bekam eine Gänsehaut. Wenn Madame Phoenix entdeckte, dass eine ihrer Dirnen in die Einrichtung in der Swanton Lane geflohen war, wäre sie zu allem fähig. In ihren Augen gäbe diese Frau den anderen Frauen im Phoenix House ein sehr schlechtes Beispiel.
17
Die kurze Botschaft von Miranda Fawcett traf am nächsten Morgen ein. Anthony war noch zu Hause, als er Nachricht von Louisa erhielt. Er pfiff eine Droschke heran und begab sich umgehend zum Arden Square.
Eine verwirrende Aufregung ergriff ihn, als die Kutsche vor Nummer zwölf hielt. Er musste sich eingestehen, dass es nicht das bevorstehende Treffen mit Miranda Fawcett war, dem er entgegenfieberte. Ihn erregte die Aussicht, Louisa wiederzusehen und abermals in der Kutsche dicht bei ihr zu sitzen.
Verflucht und zugenäht! Was war nur mit ihm los? Er konnte sich nicht erinnern, wann ihn das letzte Mal solch überschwängliche Gefühle gepackt hatten, nur weil er gleich mit einer Lady eine Kutschfahrt unternehmen würde. Louisa erwartete ihn in einem schwarzen Kleid, schwarzen Handschuhen und einem Hut mit schwarzem Schleier, der ihr Gesicht verhüllte. Er fragte sich, ob diese Garderobe ein Überbleibsel vom Tod ihres Gatten war. Der Gedanke, dass Louisa einmal einen anderen Mann geliebt hatte, gefiel ihm gar nicht, und er verdrängte ihn sogleich.
Er musste zugeben, dass das Kleid und der Schleier eine ausgezeichnete Verkleidung abgaben. Bis jetzt war ihm nie bewusst gewesen, wie vollkommen anonym eine Witwe in voller Trauerkleidung auf der Straße war.
»Ist es oft nötig, dass Sie im Rahmen Ihrer Arbeit inkognito auftreten?«, fragte er, während er ihr in die Droschke half.
»Ich habe festgestellt, dass Witwenkleidung gelegentlich recht nützlich sein kann«, erwiderte sie und ließ sich auf den Sitz sinken.
Er setzte sich ihr gegenüber. Sie betrachtete ihn durch ihren Schleier, anziehender und geheimnisvoller denn je zuvor. Er versuchte, sich auf die Angelegenheit zu konzentrieren, wegen der sie beisammen waren.
»Was haben Sie von Miss Fawcett erfahren?«
»Sie gab mir nur einen Namen und eine Adresse in der Halsey Street.«
Sie reichte ihm einen Zettel. Er überflog ihn eilig. »Benjamin Thurlow.«
Sie schlug den schwarzen Schleier auf die Hutkrempe zurück und sah ihn an. Ihr Gesicht war gerötet. Ihre Augen hinter den Brillengläsern strahlten vor Aufregung. Er fragte sich, ob sie im Rausch der Lust wohl auch so aussah oder ob nur ihre Arbeit als Journalistin derartige Leidenschaft in ihr zu wecken vermochte.
»Kennen Sie diesen Mr. Thurlow?«, fragte sie.
Er überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. »Nein.« Er stand auf, öffnete die Klappe im Verschlagdach und sprach mit dem Kutscher. »Zur Halsey Street, bitte.«
»Soll sein, Sir.«
Die Kutsche fuhr rumpelnd in den Nebel davon.
»Der
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