Riskante Nächte
um die Klinke geklammert, sackte sie rücklings gegen die Holzpaneele.
Sie bekam keine Luft. Es war, als trüge sie ein Stahlkorsett. Ihr Puls raste. Sie wollte nur noch flüchten, sich verstecken, doch es gab für sie keine Zuflucht. Sie brauchte etwas zur Stärkung ihrer Nerven. Sie eilte zu dem Beistelltisch mit den Alkoholika, riss den Stöpsel aus der Brandykaraffe und schenkte sich großzügig ein. Ihr erster Schluck war zu gierig, und sie verschluckte sich prustend. Noch immer nach Luft ringend, lief sie im Zimmer auf und ab.
»Bleib ruhig!«, befahl sie sich laut. »Er kann nicht wissen, wer du bist. Und er wird die Wahrheit nie erfahren.«
Wunderbar. Jetzt sprach sie schon mit sich selbst.
Sie trank einen weiteren Schluck Brandy, diesmal einen kleineren, und ging zum Fenster. Sie schaute hinaus in den Garten.
Ihr war, als stürze sie ins Leere. Das war völlig verständlich, versicherte sie sich. Sie hatte einen großen Schock erlitten, dem dichtauf ein zweiter gefolgt war. Zuerst war da der verheerende Kuss gewesen. Anschließend die ebenso verheerende Offenbarung, dass der Mann, der gerade all ihre Sinne zum Vibrieren gebracht hatte, persönlich mit dem Detective bekannt war, der die Ermittlungen im Mord an Lord Gavin geführt hatte.
Sie trank noch einen Schluck. Es dauerte lange, bis sie wieder normal atmete, doch nach und nach legte sich die Panik.
Es wird alles gut werden, versicherte sie sich, als sie das leere Glas abstellte. Sie musste natürlich auf der Hut sein, doch sie befand sich nicht in unmittelbarer Gefahr, entlarvt zu werden. Anthony wurde von dem Verlangen verzehrt, Fiona zu rächen. Solange er darauf fixiert blieb, Gerechtigkeit für die Lady zu erlangen, die er geliebt und verloren hatte, hatte er keine Veranlassung, sich große Gedanken über die Frau zu machen, die ihm bei dieser Mission half. Oder nicht?
Sie versuchte, logisch zu denken. Leider hatte der Brandy ihren Verstand benebelt. Eines stand jedoch fest. Es wäre besser, wenn es keine weiteren Küsse gäbe. Es war sehr unklug, sich auf eine verbotene Liebelei mit Anthony Stalbridge einzulassen. Es konnte nur ein schlimmes Ende nehmen. Verbotene Liebschaften endeten immer mit Tränen.
Niedergeschlagenheit verdrängte die bange Angst. Louisa klammerte sich an die Fensterbank, legte die Stirn gegen die Scheibe und schloss die Augen. Wie war es wohl, so geliebt zu werden, wie Anthony einst seine angebetete Fiona geliebt hatte? Sie wusste, sie würde die Antwort auf diese Frage nie erfahren.
16
Daisy Spalding erwachte mit unbeschreiblichen Schmerzen. Die Wirkung der Opiumtinktur von vergangener Nacht hatte nachgelassen, und sie fühlte alle Qualen ihres geschundenen Körpers. Sie richtete sich vorsichtig auf der schmalen Pritsche auf. Sie hatte einen weiteren Freier überlebt, doch nur um Haaresbreite. Wenn nicht einer der anderen Freier durch die Wand den Krach gehört hätte und nachschauen gekommen wäre, wäre sie heute Morgen tot.
Der Freier gestern Nacht war der bislang brutalste gewesen. Sie hatte das Feuer des Wahnsinns in seinen Augen lodern sehen, als er sie geknebelt und ihre Hände hinter dem Rücken gefesselt hatte. Sie hatte Todesängste ausgestanden, doch da war es schon zu spät gewesen.
Sie arbeitete erst seit wenigen Wochen in diesem Bordell. Doch sie glaubte nicht, das sie diesen Monat überleben würde. Nachdem Andrew gestorben war, hatte sein Gläubiger ihr erklärt, dass sie die Schulden abbezahlen müsse, indem sie zwei Monate lang im Phoenix House arbeitete. Damals hatte sie zum ersten Mal überlegt, ins Wasser zu gehen, doch der Gläubiger hatte sie umgestimmt.
»Das Phoenix House ist nicht wie andere Bordelle«, hatte er ihr versichert. »Alle Frauen, die dort arbeiten, stammen aus gutem Hause, genau wie Sie. Sie verdienen gutes Geld, weil sie von bedeutend höherem Stand sind als die üblichen Prostituierten. Sie sind Kurtisanen, keine bloßen Huren. Gentlemen sind gerne bereit, für die Gesellschaft vornehmer Ladys großzügig zu zahlen.«
Doch Hure ist Hure, dachte Daisy bei sich. Sie war eine Närrin gewesen, zu denken, das Gewerbe wäre anders, nur weil sie einstmals eine Lady gewesen war.
Aus Angst, sonst im Arbeitshaus zu enden, hatte sie eingewilligt. Sie fand erst sehr viel später heraus, dass der Gläubiger ihres Mannes bei ihrem Eintreffen im Phoenix House eine stolze Provision von der Besitzerin, Madame Phoenix, erhalten hatte.
Madame Phoenix hatte ihr erklärt, sie wäre nicht
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