Riskante Nächte
erlaubte sich einen verstohlenen Seufzer der Erleichterung.
In just diesem Moment fuhr eine weitere Kutsche vor und hielt direkt hinter Anthonys Wagen. Die Tür ging auf. Ein Mann in Frack und Zylinder sprang heraus auf den Bürgersteig. Er taumelte leicht und musste sich am Verschlag festhalten, um nicht hinzufallen.
Er erspähte Anthony. Augenblicklich verzerrte sich sein gut aussehendes Gesicht zu einer erzürnten Fratze.
»Wenn das nicht Stalbridge ist«, lallte er. »Und ich nehme an, dies ist die kleine Witwe aus dem Arden Square, von der ich in letzter Zeit so viel gehört habe. Wollen Sie mich der Lady nicht vorstellen?«
»Nein«, erwiderte Anthony. Er ging einfach weiter und schob sich dabei zwischen Louisa und den Fremden.
Louisa war so schockiert von der schroffen Abfuhr, dass sie auf der letzten Stufe stolperte. Sie wäre hingefallen, hätte Anthony sie nicht aufgefangen. Er half ihr in die Kutsche.
»Julian Easton ist mein Name, Mrs. Bryce.« Easton zog mit einer spöttisch galanten Geste seinen Zylinder. »Entzückt, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich habe munkeln hören, dass Stalbridge sich mit einer recht ungewöhnlichen Frau amüsiert, aber heute habe ich zum ersten Mal Gelegenheit, die kleine Provinzmaus persönlich in Augenschein zu nehmen.«
Anthony ging auf ihn zu. »Das reicht, Easton. Sie sind betrunken, und Sie machen sich zum Narren.«
Easton ignorierte ihn. Er sah durch das Fenster im Verschlag zu Louisa. »Es ist Ihnen doch bewusst, dass er Sie nur benutzt, Mrs. Bryce. Sie sind nämlich überhaupt nicht nach seinem Geschmack. In den Klubs ist die einhellige Meinung, dass er die Frau eines anderen Mannes vögelt und diese Tatsache hinter Ihren Röcken verbirgt.«
Anthony tat noch einen Schritt auf ihn zu. Im allerletzten Moment schien Easton zu erkennen, dass er sich in Gefahr befand, doch es war zu spät. Anthony bewegte sich mit einer Schnelligkeit, die alle, Easton eingeschlossen, überraschte. Er packte Easton am Ärmel. Gleichzeitig streckte er seinen Fuß aus. Im nächsten Moment war bereits alles vorüber. Easton ging sehr abrupt zu Boden und landete unsanft auf seinem Hinterteil. Er hockte auf dem Pflaster und schaute benommen drein.
»Zum Arden Square«, wies Anthony den Kutscher an und sprang in den Verschlag.
Die Kutsche setzte sich augenblicklich in Bewegung. Louisa schaute zurück zu den Stufen des Lorrington’schen Herrenhauses. Julian Easton saß noch immer auf dem Pflaster. Lodernder Zorn hatte die Verblüffung auf seinem Gesicht verdrängt.
Louisa drehte sich zu Anthony um. »Wer ist Mr. Easton?«
»Wir gehören demselben Klub an.« Anthonys Ton war erschreckend ausdruckslos.
»Offenbar sind Sie keine Freunde.«
»Nein«, bestätigte Anthony. »Wir sind keine Freunde.«
Louisa konnte förmlich hören, wie die Tür zu diesem Thema zugeschlagen wurde. Sie versuchte einen neuen Vorstoß.
»Wie haben Sie es angestellt, ihm so blitzschnell die Füße unter dem Körper wegzuziehen?«, fragte sie.
»Das ist ein Kniff, den ich auf meinen Reisen im Ausland aufgeschnappt habe. Ich finde ihn bei Gelegenheit recht nützlich.«
Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der nächtlichen Stadtlandschaft jenseits des Fensters zu. Er sprach kein weiteres Wort, bis er sich an der Haustür von ihr verabschiedete.
»Ich bedauere, dass Sie Eastons unschönen Auftritt miterleben mussten«, sagte er.
Er klang bitter und seltsam erschöpft. Mitleid wallte in ihr auf. Sie berührte mit ihren behandschuhten Fingern seine Wange.
»Sie müssen sich nicht entschuldigen«, sagte sie sanft. »Easton war derjenige, der sich rüpelhaft benommen hat. Sie haben in den Monaten seit Fionas Tod viel ertragen müssen. Ich hoffe, Sie werden die Antworten finden, nach denen Sie suchen, Anthony.«
Sie drehte sich um und ging ins Haus.
22
Sie schreckte aus dem Schlaf. Wie sehr sie das Herzrasen und die Atemlosigkeit hasste, die immer mit dem Traum einhergingen. Sie schlug die Bettdecke zurück und setzte sich auf. Sie musste sich bewegen, musste die unheilsame Energie ablaufen, mit der die albtraumhaften Bilder sie er füllten.
Sie stand auf. Die empfindliche Wundheit zwischen ihren Beinen ließ sie leicht zusammenzucken. Die Erinnerung an das Schäferstündchen im Wintergarten brach wie eine Woge über sie herein und verdrängte gnädigerweise die schlimmsten Bruchstücke des Albtraums. Doch sie brachte ganz neue Ängste mit sich.
Sie zog ihren Morgenrock über, stieg in die Pantoffeln
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