Riskante Nächte
und wanderte im Zimmer umher. Was hatte sie heute Abend nur getan? Wie hatte sie sich auf eine Liaison mit einem Mann einlassen können, der sie vernichten konnte? Ein Mann, der ausgerechnet mit dem Detective von Scotland Yard befreundet war, der die Ermittlungen im Mord an Lord Gavin geleitet hatte? Was in aller Welt hatte sie sich bloß dabei gedacht?
Sie blieb stehen, wohl wissend, wie die Antwort auf diese Frage lautete. Sie hatte sich von jenem ersten Moment, als Anthony sie auf dem Ball der Hammonds angesehen hatte, als kenne er all ihre tiefsten und dunkelsten Geheimnisse, in ihn verliebt. Sie würde ihr Herz an ihn verlieren. Das wusste sie so sicher, wie sie ihren richtigen Namen kannte. Vielleicht war es bereits zu spät.
Denk nicht an die Zukunft! Deine Liebe ist zum Scheitern verurteilt. Du kannst ihm niemals die Wahrheit über dich erzählen, und du könntest niemals einen Mann heiraten, bevor du ihm nicht dein Geheimnis gestanden hast. Es wäre nicht recht.
Kein Gentleman von Anthonys Stand würde eine Mörderin heiraten. Er musste den guten Namen seiner Familie schützen.
Nicht, dass er sich jemals in sie verlieben würde. Sein Herz gehörte Fiona Risby. Eines Tages würde er zweifellos heiraten – in seiner Position wurde das erwartet –, aber wenn es so weit war, würde er eine Braut wählen, die zu seiner gesellschaftlichen Stellung passte, und nicht eine Frau ohne Herkunft und ohne Geld.
Lebe für das Hier und Jetzt! Das ist das Einzige, was du je mit Anthony haben wirst.
Sie blieb mitten im Schlafzimmer stehen und überlegte, ob ein weiterer Brandy helfen würde. Das Glas, das sie getrunken hatte, nachdem Anthony sie vom Empfang der Lorringtons heimgebracht hatte, war überraschend wirkungsvoll gewesen. Louisa hatte nicht erwartet, heute Nacht Schlaf zu finden, doch offenkundig hatten die dramatischen Ereignisse des Tages und des Abends sie mehr mitgenommen, als ihr bewusst gewesen war. Ein weiteres Glas würde sie vielleicht einige zusätzliche Stunden schlummern lassen.
Sie trat ans Fenster und schaute in die Nacht hinaus. Der Platz wurde vom fahlen Licht der Straßenlaternen und dem blassen Mond beschienen. Direkt gegenüber der Haustür von Nummer zwölf stand eine Gestalt. Sie war in einen langen Mantel gehüllt, und ein schwarzer Schleier verbarg ihr Gesicht. Sie mutete wie ein Geist an, der aus dem nebelverhangenen Park geschwebt war.
Die arme, verzweifelte Witwe, die gezwungen war, sich als Dirne zu verdingen, war zurück. Louisa war überrascht, sie zu sehen. Anscheinend hatte die Frau noch nicht gelernt, dass Freier auf der Suche nach den Waren, die sie feilbot, nicht in dieses Viertel kamen. Oder vielleicht hatte sie zu viel Angst, sich in den heruntergekommeneren Gegenden umzutun. Sie war eindeutig neu in diesem Gewerbe.
Louisa wirbelte spontan herum, trat hinaus in den Flur und ging nach unten ins Arbeitszimmer. Sie drehte die Flamme einer Lampe höher, schloss eine der Schreibtischschubladen auf und holte die kleine Summe Geld heraus, die sie und Emma dort für unerwartet anfallende Haushaltsausgaben aufbewahrten. Sie steckte die Münzen und einige Geldscheine in einen Umschlag. Dann griff sie nach einem Federhalter und schrieb eine Adresse auf die Rückseite des Umschlags.
Im Vestibül schlüpfte sie in einen Mantel, öffnete die Haustür und spähte hinaus.
Die Frau in Schwarz war noch immer da, halb verborgen wartete sie neben einem Baum. Sie erstarrte, als sie Louisa aus der Haustür treten und im Laternenschein stehen bleiben sah.
»Guten Abend«, sagte Louisa leise.
Die Frau reagierte, als hätte ein Geist sie angesprochen. Sie fuhr erschrocken zusammen, wich einen Schritt zurück, machte auf dem Absatz kehrt und hastete davon.
»Bitte warten Sie.« Louisa eilte ihr hinterher. »Ich werde keinen Constable rufen. Ich wollte Ihnen nur etwas Geld und eine Adresse geben.«
Die Frau kam anscheinend zu dem Schluss, dass sie Louisa nicht abschütteln könnte. Sie blieb stehen und drehte sich um wie ein in die Enge getriebenes Tier.
Louisa hielt ihr den Umschlag hin.
»Hierin ist genügend Geld für einen Monat, wenn Sie sparsam sind. Auf der Rückseite des Umschlags steht eine Adresse. Wenn Sie dorthin gehen und um Hilfe bitten, werden Sie die erhalten, ohne dass jemand Fragen stellt. Es ist eine Einrichtung, die von einer Frau geleitet wird, deren einziges Ziel es ist, Frauen wie Ihnen zu helfen.«
»Frauen wie mir?« Die Frau war wie vom Donner
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