Riskante Nächte
Hause gefolgt, oder vielleicht kannte er auch Thurlows Gewohnheiten und wusste, dass sein Opfer volltrunken heimkäme.
Thurlow war zu Bett gegangen, vollends benebelt vom Alkohol. Er war wahrscheinlich überhaupt nicht aufgewacht, er hatte vermutlich überhaupt nicht gemerkt, dass der Mörder in seinem Schlafzimmer stand.
Der Mörder hatte Thurlow die Pistole an den Kopf gesetzt und abgedrückt. Dann hatte er alles so hergerichtet, dass es wie Selbstmord aussah. Anschließend hatte er alle Zimmer sehr gründlich durchsucht und den Abschiedsbrief verfasst, bevor er durch die Hintertür wieder verschwunden war.
Doch wenn Hastings Schleicher angeheuert hatte, um Thurlow im Auge zu behalten, sinnierte Anthony, dann klaffte jetzt ein großes Loch in seiner Theorie, dass Hastings den Spieler ermordet hatte.
25
»Anscheinend empfand sie es als demütigend, als Sie ihr Hilfe anboten«, sagte Emma. »So wie Sie die Person beschrieben haben, war sie einst eine ehrbare Frau aus gutem Hause. Zweifellos war es ihr angegriffener Stolz, der sie dazu trieb, Ihre Güte und Großzügigkeit abzulehnen.«
»Ich vermute, Sie haben recht«, sagte Louisa und dachte an die nächtliche Begegnung zurück. »Sie wirkte zutiefst beleidigt.«
Sie saßen zusammen in der Bibliothek und tranken Tee. Den Vormittag über war der Himmel klar gewesen, doch am frühen Nachmittag war abermals Nebel aufgezogen, war durch die Straßen um den Arden Square gekrochen und hatte sich in dem kleinen Park gesammelt.
»Es ist eine traurige, allzu bekannte Geschichte.« Emma griff nach der Teekanne. »Man liest oft in der Sensationspresse darüber. Es gibt so viele Umstände, die eine ehrbare Frau dazu zwingen können, ihren Körper feilzubieten. Tod oder Krankheit des Gatten, Bankrott, Schulden, Scheidung, keine Familie – all das kann eine Frau über Nacht ohne einen Penny dastehen lassen.«
»Ich weiß«, hauchte Louisa.
»Aber natürlich, meine Liebe.« Emma zog die Augenbrauen hoch. »Aber vergessen Sie nicht, obgleich Sie sich zweimal in ärgster Not befanden, sind Sie beide Male wieder auf die Füße gekommen, ohne sich prostituieren zu müssen.«
»Das war pures Glück.«
»Nein«, widersprach Emma mit Nachdruck. »Mit Glück hatte es nichts zu tun. Sie sind eine ausgesprochen kluge, findige Frau, meine Liebe. Nachdem Ihr Vater gestorben war und die Gläubiger Ihnen alles außer seinen Büchern genommen hatten, haben Sie sich gerettet, indem Sie ein Geschäft eröffneten. Nach dem schrecklichen Erlebnis mit Lord Gavin haben Sie sich wieder aufgerappelt, indem Sie Ihren Namen änderten, sich ein fiktives Charakterzeugnis schrieben und sich bei einer Agentur bewarben. Es waren Ihr Einfallsreichtum und Ihre Entschlossenheit, die Sie vor der Prostitution bewahrt haben, Louisa, nicht Glück. Vergessen Sie das nie.«
Louisa lächelte matt. »Sie verstehen es immer, mir Mut zu machen, Emma.«
Emma sah sie forschend an. »Was beunruhigt Sie so an der Frau gestern Nacht im Park?«
»Um ehrlich zu sein, ich bin nicht sicher. Ich glaube, sie befindet sich noch nicht lange in ihrer derzeitigen misslichen Lage. Ihr Mantel war von guter Qualität und schick, ebenso der Schleier und die Handschuhe. Wenn sie wusste, dass der Tod ihres Mannes sie in Armut stürzen würde, warum hat sie dann so viel Geld für modische Trauerkleidung ausgegeben?«
»Vielleicht hat sie erst nach der Beerdigung das volle Ausmaß ihrer Misere erfahren. So ergeht es Frauen oft. Die Ehemänner sprechen nie mit ihnen über Finanzen. Die Witwen wissen nichts von den wahren Umständen, bis es zu spät ist.«
»Ja. Nun, hier gibt es noch viel zu tun.« Louisa stellte die Teetasse ab und schlug ihr kleines Notizbuch auf. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Ihnen gern ein paar weitere Fragen über Victoria Hastings stellen.«
»Aber immer doch.« Emma neigte neugierig den Kopf. »Warum interessieren Sie sich für sie?«
»Mr. Stalbridge vermutet, dass Hastings sie ebenfalls ermordet hat. Und ich dachte mir, da wir anscheinend wenig Glück damit haben, ein Motiv für Fionas Tod zu finden, könnte es sich lohnen, Hastings’ Mord an seiner Frau zu ergründen. Ich bin sicher, dass es eine Verbindung zwischen den beiden Morden gibt.«
26
An jenem Nachmittag nahm Louisa ihren üblichen Weg durch den großen Park zu Digbys Buchhandlung. Der Nebel hatte sich zu einem schier undurchdringlichen Meer verdichtet, doch sie kannte den Weg.
Sie hatte den Park für sich allein. Es war
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