Riskante Versuchung
auch tun.
Panik erfasste und lähmte sie für einen Moment. Sie verlor das Gleichgewicht und presste den Kopf auf den Teppich, bis der Raum aufhörte, sich zu drehen.
Noch einmal tröstete sie sich mit dem Gedanken, dass er nicht wusste, wo Kelsey war.
Frank warf ihre Handtasche auf den Boden, und sie landete neben ihrem Kopf.
„Nun, worauf wartest du? Schmink dich.“
Er lachte, und da kam der Zorn erneut in Jess hoch.
Verdammt sei er!
Frank zog sich aus, und sie schloss die Augen. Sie wollte ihn nicht ansehen. Er band sich das andere Ende des Seils um seinen Knöchel - der schon vernarbt war von zahllosen anderen Abschürfungen durch Seile.
Mit dem Ärmel wischte Jess die Tränen ab. Er wollte, dass sie weinte und von Furcht überwältigt war.
Nein, dachte sie, diesen Gefallen werde ich ihm nicht tun. Nur über meine Leiche.
Rob saß auf der Rückbank des Streifenwagens, die Hände mit Handschellen auf den Rücken gefesselt.
„Können Sie mit dem Ding nicht ein bisschen schneller fahren?“, schrie er Elliot durch das Metallgitter zu, um das laute Motorengeräusch zu übertönen.
„Die Straßen sind überschwemmt“, brüllte Elliot zurück. „Es besteht die Gefahr von Aquaplaning. Wir würden Jess nicht viel nützen, wenn wir nicht heil bei ihr ankommen.“
Rob gab sich Mühe, ruhig zu bleiben, und schaute aus dem Fenster. Er überlegte, wie weit sie schon gefahren waren und wie weit es wohl noch bis zu Jess war. Zehn Minuten, dachte er. Wir werden noch zehn Minuten brauchen.
Mindestens.
Er weiß nicht, dass Kelsey hier ist.
Jess kniete vor dem großen Spiegel in ihrer Kleiderschranktür und trug schwarzen Eyeliner auf. Frank hatte ihr die Kerze überlassen, deren Flamme leicht flackerte, denn er hatte ein Fenster geöffnet.
Er mochte den Duft frischer Nachtluft, erklärte er. Dadurch fühle er sich gesund.
Schon seit gut fünf Minuten redete er auf sie ein, während er zuschaute, wie sie ihre Wangen mit Rouge schminkte und Lidschatten auftrug. Er setzte ihr ganz genau auseinander, was er mit ihr, dem Seil und dem Messer tun würde, und dabei war seine Stimme ein monotoner Singsang.
Das würde ihr für den Rest ihres Lebens Albträume bescheren. Allerdings würde ihr Leben ja wohl schon ziemlich bald vorbei sein. Sie musste nur noch Lippenstift auftragen, dann war sie mit dem Schminken fertig.
Aber wenigstens weiß er nicht, wo Kelsey ist.
Nachdem sie den Lippenstift aufgetragen hatte, würde er sie töten. Das hatte er schon angekündigt. Wieder und wieder.
Selbst wenn sie eine Weile in ihrer Handtasche nach dem Lippenstift kramte und ihn anschließend sehr langsam auftrug, würde das Ganze allerhöchstens fünf Minuten dauern.
Noch fünf Minuten zu leben, und Jess betete immer noch um ein Wunder und darum, dass Frank einen Fehler beging.
Sie kramte nach dem kleinen Plastikzylinder, in dem sich ihr Lippenstift befand. Es war zu dunkel, trotz des Kerzenlichts, um ganz bis auf den Boden der Handtasche zu sehen. Ihre Hand schloss sich um etwas Glattes, Rundes - eine Rolle Pfefferminzbonbons.
„Teilen“, sagte Frank. „Das ist ein schönes Wort, findest du nicht? Es kann bedeuten, dass man die Nähe miteinander teilt. Zum Beispiel wie: ‚Wenn du deine Lippen geschminkt hast, möchte ich bei dir sein, ganz nah.‘ Es kann aber auch bedeuten, dass ich dich mit meinem Messer zerteile …“
Jess‘ Finger schlossen sich um einen anderen harten, beinah zylindrischen Gegenstand. Das war auch nicht ihr Lippenstift, sondern …
„Es wird bald vorbei sein“, fuhr Frank bedauernd fort. „Es ist immer so schnell vorbei. Aber weißt du, dann werde ich genau das Gleiche mit deinem kleinen Mädchen machen.“
Entsetzt sah Jess auf. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. Der angsterfüllte Ausdruck auf ihrem Gesicht entlockte ihm ein Grinsen.
„Ja, ich werde die Kleine auch töten. Ich weiß, dass sie draußen im Wagen schläft. So leicht legst du mich nicht rein.“
Er wusste, dass Kelsey im Wagen war.
O bitte, nicht Kelsey …
Jess drehte sich zu ihm um, und dabei stieß sie mit ihrer Handtasche die Kerze um. Die kleine Flamme erlosch, und es wurde stockfinster im Zimmer.
Frank zerrte hart am Seil und holte Jess damit zu sich heran. Sie rutschte über den Fußboden und schnappte vor Entsetzen nach Luft, als sie das Gewicht des Mannes spürte - und die kalte Messerklinge an ihrem Hals.
Noch nicht, dachte sie. Bitte noch nicht!
Rob betete.
Mehr konnte er im Augenblick nicht tun.
Elliot
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