Riskante Versuchung
Tränen im Gesicht.
Sie musterte ihn und fragte: „Wo ist sie?“
„Carpenter hilft ihr, sich zu reinigen“, erklärte Elliot. „Er wird ein paar Sachen für sie und ihre Tochter einpacken - die Kleine hat die ganze Zeit hinten in Jess‘ Wagen geschlafen. Ist das zu fassen? Ich stehe hier, um aufzupassen, dass sie nicht plötzlich aufwacht und in das Chaos im Schlafzimmer platzt.“
Er lachte bitter. „Verdammt, Selma“, fuhr er fort. „Ich habe mich geirrt und dieser Frau dadurch die Hölle bereitet. Nicht nur das, am Ende musste sie auch noch meinen Job machen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich das geschafft hätte, was sie fertiggebracht hat, wenn ich an ihrer Stelle gewesen wäre.“
„Sie hat ihre Tochter beschützt. Aus Liebe können Menschen die erstaunlichsten Dinge tun“, erklärte Selma.
Elliot lachte erneut. „Das brauchst du mir nicht zu sagen. Carpenter hätte sich kopfüber in die Hölle gestürzt, um Jess zu retten.“ Er wischte sich die Augen und holte tief Luft. „Wow, wie ich die beiden beneide.“
Selma lächelte. „Meinen Glückwunsch. Ich war mir immer sicher, dass du eines Tages gestehen würdest, dass du auch nur ein Mensch bist.“
20. KAPITEL
Jess saß auf der Terrasse des Strandhauses und schaute auf den Ozean.
Dieser Tag im Spätherbst war kühl, deshalb war sie froh, den dicken Wollpullover angezogen zu haben.
Kelsey spielte im Sand mit den Nachbarskindern. Lachend und vor Vergnügen kreischend, tobten sie hier am weiten Strand herum.
Der Klang von Schritten auf der Terrasse ließ sie herumfahren. Es gelang ihr nicht, ihre Neugier zu verbergen, als sie Selma Haversteins vertrautes Gesicht erblickte.
„Ich habe Sie erschreckt“, stellte die Psychologin fest. „Das tut mir leid.“
Jess winkte ab, erhob sich von ihrem Liegestuhl und trat an das Terrassengeländer. „Macht nichts.“
„Ich habe Donuts und Kaffee mitgebracht …“
Jess drehte sich belustigt zu der Frau um, die noch immer nicht gemerkt hatte, dass sie gar keine Donuts aß und auch keinen Kaffee trank …
„Und einen Becher Tee für Sie, meine Liebe.“
„Ich dachte, diese Hausbesuche seien nicht mehr nötig“, bemerkte Jess und nahm den Pappbecher von Selma entgegen.
„Jeder braucht hin und wieder einen Hausbesuch“, erwiderte Selma und setzte sich. „Wie läuft es mit der Musik?“
Jess versuchte sich zu entspannen. Selma konnte in jedes Zucken, jede kleinste Bewegung etwas hineininterpretieren. Und meistens lag sie damit sogar richtig.
„Ich habe mein Demoband fertig“, antwortete Jess, nahm den Deckel des Teebechers ab und stellte ihn auf das Holzgeländer.
„Wann kann ich es hören?“
„Ich habe Kopien gemacht. Sie können eine mitnehmen.“
„Sehr gern“, sagte Selma. „Wie steht‘s mit dem Haus? Gibt es schon einen Übergabetermin?“
„Ja, nächste Woche.“ Jess hatte ihr Haus weit unter Preis zum Verkauf angeboten und beinah sofort einen Interessenten gefunden. Das Geld war ihr egal. Sie konnte einfach nicht mehr weiter in diesem Haus wohnen. Nicht nach dem, was sie dort durchgemacht hatte.
Ihre Eltern zeigten sich großzügig und ließen sie mit Kelsey im Strandhaus wohnen. Sie konnten bleiben, solange sie wollten und bis sie wussten, wie es weitergehen würde. Und vor allem, wohin sie gehen würden.
Rob hatte Jess etwas Geld dagelassen. Etwas? Viel Geld! Beinah fünfzigtausend Dollar. Aber sie wollte sein Geld nicht. Sie wollte ihn.
„Ich habe gehört, Ian konnte die Rehaklinik verlassen“, meinte Selma.
Jess trank einen Schluck Tee. „Er ist jetzt seit dreißig Tagen trocken“, sagte sie. „Ich habe mit ihm telefoniert. Er klang ganz anders als früher. Ruhiger. Er hat sich für alles entschuldigt und mir sogar einen Unterhaltsscheck geschickt. Er meinte, er mache jetzt eine Therapie, um all die Probleme aus seiner Kindheit aufzuarbeiten. Aber ich glaube, es wird ihm wirklich besser gehen.“
Selma nickte und biss von ihrem Donut mit Honigglasur ab. Kauend erkundigte sie sich: „Haben Sie schlafen können in letzter Zeit?“
Jess wandte den Blick ab. „Nein.“
„Sind die Albträume wieder da?“
Jess seufzte. Die Albträume, die Ängste, die Nervosität - es gelang ihr einfach nicht, das abzuschütteln. Besonders nachts holte sie das Erlebte ein. Wahrscheinlich würde sie für den Rest ihres Lebens Albträume von Frank haben.
Das FBI hatte seine Wohnung durchsucht, um irgendeinen Hinweis darauf zu finden, warum er zum Mörder geworden
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