Riskante Versuchung
natürlich geschwindelt. Höchstwahrscheinlich würde er sie anrufen und mit ihr ausgehen wollen - vermutlich noch an diesem Abend. Aber all die vernünftigen Argumente änderten nichts daran, dass ihr die Sache unheimlich war.
„Lass uns nach Hause fahren und Doris anrufen“, schlug sie vor. „Vielleicht haben sie und John Lust, auf ein Picknick vorbeizukommen.“ Doris‘ Mann war über einen Meter achtzig groß und wie ein Schrank gebaut.
„Hat dieser Mann dir Angst gemacht?“, wollte Kelsey wissen. „Der mit den komischen Augen?“
Jess schaute in den Rückspiegel. Manchmal entging ihrer Tochter nichts. „Ja“, gab sie zu. „Er hat mich ein bisschen nervös gemacht.“
„Mir war er auch unheimlich“, sagte Kelsey. „Hey, sieh nur! Rob ist zu Hause!“
Jess bog in ihre Auffahrt ein, als Rob gerade aus seinem Wagen stieg. Mist, das war schlechtes Timing.
„Lass uns Rob fragen, ob er nicht mit uns zum Strand kommen will“, schlug Kelsey begeistert vor. „Bitte, ja?“
Jess war Rob in den vergangenen Tagen erfolgreich aus dem Weg gegangen, indem sie abends mit Kelsey auswärts aß, ins Kino oder einkaufen ging. Sie unternahm alles Mögliche, um nicht zu Hause zu sein, wenn Rob von der Arbeit kam. Ein paar Tage lang hatte sie ihn sogar überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommen. Eigentlich hätte der Schmerz nachlassen müssen, doch als sie Rob jetzt sah, war alles wieder ganz frisch.
„Nein, ich glaube nicht“, begann Jess, doch da war Kelsey bereits aus dem Wagen gesprungen und rannte zu Rob.
Verdammt.
Jess folgte ihr langsam und schaute zu, wie Kelsey aufgeregt um ihn herumtanzte.
„Ich weiß nicht, ich habe noch viel Arbeit zu erledigen heute Abend“, hörte sie ihn zu ihrer Tochter sagen.
Dann sah er in ihre Richtung, und ihre Blicke trafen sich.
Nichts hatte sich geändert.
Diese elektrisierende Anziehungskraft zwischen ihnen war nach wie vor da. Sie war eher noch intensiver als vorher - jetzt, da sie wussten, was zwischen ihnen möglich war, weil sie miteinander geschlafen hatten.
Und Rob spürte es auch. Jess wusste, dass es so war. Für einen kurzen Moment gelang es ihm nicht, die Gefühle, die sich auf seinem Gesicht widerspiegelten, zu verbergen. Sie sah Verlangen und Einsamkeit, Sehnsucht und wehmütige Verzweiflung. Dann war der Schutzwall wieder da, den er um sich errichtet hatte, und Jess konnte nur noch seine Erschöpfung sehen.
Doch dieser kleine Einblick hatte schon genügt, um die Flamme der Hoffnung in ihr zu entzünden.
Möglicherweise litt er auch. Vielleicht vermisste er sie, sehnte sich nach ihren Küssen, so wie sie sich nach seinen verzehrte.
Wenn sie vorsichtig und geduldig war, gelang es ihr vielleicht, seine Bedenken aus dem Weg zu räumen und ihm zu beweisen, dass er sich vollkommen irrte und es keinen Grund gab, sich nicht mehr zu sehen.
„Bitte komm mit“, bat sie ihn leise.
Die Verblüffung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Nach ihrem letzten Gespräch hatte er wahrlich nicht mit einer Einladung, sie zum Strand zu begleiten, gerechnet.
Nervös fuhr er sich durch die Haare, sah von Kelsey zu Jess und räusperte sich. „Tja, ich glaube nicht …“
Vielleicht konnte sie ihm beweisen, dass er sich irrte. Vielleicht war sie aber auch einfach bloß eine Masochistin, die Zurückweisungen mochte.
Aber sie ließ nicht locker. „Ach, gib dir einen Ruck, es ist doch nur ein freundschaftliches Picknick.“
Jess sah erneut den Schmerz in seinem Blick aufflackern. Er wandte sich ab. „Tut mir leid, aber ich …“
Sie ließ ihn nicht ausreden. „Du hast mir versprochen, du würdest mir nicht aus dem Weg gehen“, erinnerte sie ihn. „Hier kommt deine große Chance, mir zu beweisen, dass du das ernst meintest.“
Mit ausdrucksloser Miene schaute Rob sie an. „Na schön. Ich hole schnell meine Badehose.“
8. KAPITEL
Rob saß im Sand und betrachtete den Sonnenuntergang.
Kelsey spielte im flachen Wasser und rannte immer wieder zu ihm, um ihm eine besonders schöne Muschel oder einen Kiesel zu zeigen, ehe sie wieder ein Stück den Strand hinauflief, wo Jess es sich auf einer Decke bequem gemacht hatte.
Der frühe Abend war friedlich und ruhig. Die Geräusche der sanften Brandung und die Rufe der Seevögel waren beruhigend. Eigentlich hätte Rob in der Lage sein sollen, sich zu entspannen. Die Belastungen der Woche hätten hier von ihm abfallen müssen.
Doch Jess saß keine zehn Meter von ihm entfernt in einem blauen Bikini hinter ihm.
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