Riskante Versuchung
vor sich gefaltet. „Ich verstehe es nicht“, sagte sie. „Bitte erkläre es mir.“
Rob nahm die Sonnenbrille ab und rieb sich die Augen. Er sah müde aus, erschöpft, als hätte er in der vergangenen Nacht überhaupt nicht geschlafen. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich das kann.“
„Versuch es.“
Er schüttelte den Kopf, als finde er nicht die richtigen Worte, um es zu erklären.
„Liegt es an mir?“ Ihre Stimme war kaum hörbar, und sie war den Tränen nah.
Rob stutzte. „Um Himmels willen, nein.“ Er streckte die Hand aus und schien sie auf ihre Hände legen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders. „Nein, es liegt an mir. Ich kann nicht … ich kann dir nicht das geben, was du dir wünschst, Jess.“
„Woher weißt du, was ich mir wünsche?“
Er lächelte gequält. „Das weiß ich natürlich nicht. Aber ich weiß, dass du dir nicht wünschen solltest, mit mir zusammen zu sein.“
Plötzlich und unerwartet stieg Zorn in ihr auf und betäubte den Schmerz. „Ach, und diese Entscheidung nimmst du mir ab?“
Er hielt ihrem wütenden Blick stand. „Ja.“
Trotzig reckte sie das Kinn. „Das glaube ich aber nicht …“
„Die Entscheidung ist bereits gefallen“, unterbrach er sie in fast sanftem Ton. „Was in der vergangenen Nacht passiert ist, wird nicht wieder geschehen.“
In seiner Stimme schwang Überzeugung mit. Es klang endgültig. Jess merkte, wie ihre eigene Entschlossenheit bröckelte und der Schmerz erneut den Zorn verdrängte. Doch als sie Rob in die Augen sah, entdeckte sie darin noch etwas anderes. Wenn sie sich nicht fürchterlich täuschte, hielt er die klassische „Wir können doch Freunde bleiben“-Ansprache, obwohl er sie nach wie vor begehrte.
„Ich finde …“
Jetzt kam es.
„… es auf lange Sicht besser …“
Er wandte den Blick ab. Offenbar konnte er ihr nicht mehr in die Augen sehen.
„… wenn wir Freunde bleiben.“
Volltreffer. Leider war ihr nicht zum Triumphieren zumute.
Jess schwieg zunächst und ließ die Worte erst einmal zwischen ihnen stehen. Erst als Rob sie wieder ansah, sprach sie. „Ist es wirklich das, was du willst?“
„Ja.“
Sie stand auf, denn sie musste unbedingt ins Haus, damit er sie nicht weinen sah. „Du möchtest, dass wir Freunde sind“, wiederholte sie und lachte bitter. „Du meinst, so wie du mir in den letzten Tagen aus dem Weg gegangen bist?“ Sie lachte erneut. „Das war sehr freundlich von dir. Dabei hatten wir uns erst einmal geküsst. Nach dem, was wir letzte Nacht getan haben, kann ich wohl froh sein, wenn ich eine Postkarte aus Kathmandu von dir bekomme.“
„Ich verspreche dir, dass ich dir nicht mehr aus dem Weg gehen werde.“
Jess schlang die Arme um sich. „Vielleicht wäre es besser, wenn du ausziehst.“
„Jess, ich werde dir nicht aus dem Weg gehen.“
„Vielleicht solltest du das aber“, erwiderte sie und lief ins Haus.
Es war die Hölle, als es vorbei und das Verlangen gestillt war. Er fühlte sich elend, voller Reue, widerlich.
Das wurde ihm jedes Mal klar, dass es falsch war, was er tat. In diesen Momenten wünschte er sich so sehr, man würde ihn fassen und aufhalten. Aber dieser Wunsch war nie stark genug, dass er sich stellte.
Mehr als einmal hatte er an Selbstmord gedacht. Schließlich besaß er das Messer und konnte damit seinen Qualen leicht ein Ende bereiten.
Das Vergessen wäre so süß und friedlich. Diese schreckliche Übelkeit würde aufhören, die grauenhaften Träume, die Albträume. Gesichter von Frauen, ihre flehenden Blicke, Entsetzensschreie, der salzige Geschmack der warmen Blutspritzer …
Aber dann würde es wieder von vorn anfangen, und das grässliche Gefühl würde verschwinden, zusammen mit dem Wissen um Gut und Böse.
Und dann würden die Gesichter in seinen Träumen zu seinen vertrauten Begleiterinnen werden, seinem Harem, seinem privaten Fanclub.
Seine Albträume endeten - aber für die Frau, die er ausgewählt hatte, fing der Albtraum gerade erst an.
Wie lautete sein Name?
Pete.
Der Barkeeper vom Pelican Club.
Als Jess ihn zum ersten Mal sah, fuhr er an ihrem Haus vorbei. Sie hatte gerade Kelsey von Doris, ihrer Tagesmutter, abgeholt, und sie gingen zusammen zum Briefkasten am Anfang der Auffahrt, um die Post zu holen.
Er fuhr eine dunkelblaue Limousine und schien das Tempo ein wenig zu verlangsamen, als er sich ihrem kleinen pinkfarbenen Haus mit der Stuckfassade näherte.
Er trug eine Sonnenbrille, deshalb war ein Irrtum nicht
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