Risotto Mit Otto
denn auch der Mülleimer unter den Briefkästen, auf dem » NUR FÜR PAPIER « stand, war geleert, und die kostenlosen Zeitungen, die heute Morgen noch auf der untersten Stufe gelegen hatten, waren verschwunden. Sauber, dachte ich und schloss gutgelaunt die Wohnungstür auf.
Ich stand noch nicht ganz im Flur, da stürzte mir Friedrich wie eine Furie aus dem Bad entgegen, mit rosa Gummihandschuhen und einem weißen Plastikding in der Hand, das aussah wie ein zu groß geratener Eiskratzer fürs Auto. Nicht dass ich mich mit so etwas auskannte, aber ich wusste nicht, wofür dieses Dings sonst gut sein könnte. Wie beim Anblick von Friedrichs Miene befürchtet, sollte ich es sogleich erfahren.
»Du hast deine Haare nicht aus dem Sieb in der Dusche gemacht, und die Duschkabine hast du auch nicht abgezogen. Das geht so nicht.«
Wenn Blicke töten könnten, wäre mein Ableben auf der Stelle besiegelt gewesen.
Der Mann überforderte meinen Intellekt. »Abgezogen«, murmelte ich und kramte in meinen Gehirnzellen nach der Bedeutung dieses Wortes. Meines Wissens konnte man Summen voneinander abziehen oder einen Hasen oder meinetwegen auch ein Bett oder Bohnen, aber eine Duschkabine?« Mit Sicherheit stand mein Gesichtsausdruck dem von Berlusconis Ehefrau Veronica Lario in nichts nach, als sie vernommen hatte, dass ihr Göttergatte seiner Frauenministerin Mara Cafagna, einem ehemaligen Nacktmodell und Showgirl, in aller Öffentlichkeit einen Heiratsantrag gemacht hatte.
»Du brauchst gar nicht so zu gucken, als wüsstest du nicht, wovon ich rede.« Friedrich fühlte sich von meiner ungläubigen Miene offenbar angegriffen. »Wenn mehrere Menschen zusammenleben wollen, braucht man Regeln, damit das Ganze funktioniert, und eine davon lautet: Verlasse Bad und Toilette stets so, wie du sie vorgefunden hast. Dazu gehört nun mal auch, dass man die Duschkabine nach dem Duschen mit dem Abzieher trocken macht, damit sich keine Kalkflecken bilden. Kapiert?«
Das war mit Abstand der unverdünnteste Schwachsinn, den ich je in meinem Leben gehört hatte. Die Glasscheiben der Dusche hinterher mit einem zu groß geratenen Eiskratzer trocken zu machen, damit keine Kalkflecken zurückblieben. Ja, wo gibt’s denn so was?, dachte ich. Haben die Leute in diesem Land keine echten Probleme? Da machte dieser Typ einfach so ein Riesenfass auf. Wegen ein paar Wassertropfen auf einer Glasscheibe. Wahrscheinlich hängte er demnächst ein selbstgebasteltes Schild an die Badezimmertür, auf dem stand: »Bitte hinterlassen Sie diesen Ort so, wie Sie ihn vorzufinden wünschen.«
Madonna, wo war ich hier nur gelandet? Zu Hause hatte sich noch nie jemand beschwert, wenn ich geduscht hatte, und ich hatte bisher weder jemals meine Haare aufgesammelt noch hinterher das Handtuch weggeräumt, das ich stets zusammengeknüllt auf den Boden geworfen hatte. Natürlich hatte ich mir nie Gedanken darüber gemacht, ob saubere Handtücher auf Bäumen wuchsen oder wer da immer hinter mir herräumte, aber das hatte ich auch nie gemusst. Mamma umsorgte uns gerne. Das behauptete sie jedenfalls …
Wenn mehrere Menschen zusammenleben wollen, braucht man Regeln, damit das Ganze funktioniert, dröhnte Friedrichs Satz in meinem Kopf. Regeln, Regeln, Regeln. Hatten die hier auch schon mal was von Spaß und laissez faire gehört? Leben und leben lassen, damit schien der Spießer, der mir mit hochrotem Kopf gegenüberstand, nichts anfangen zu können. Ja, war ich denn hier beim Militär, oder was sollte dieser Kasernenhofton?
Ich merkte, wie ich mich schon wieder in meine Wut hineinsteigerte, und versuchte, mein italienisches Temperament zu zügeln. Daher verkniff ich mir jegliche angeborene Impulsivität, was mich schier an meine Grenzen brachte, da es mich innerlich förmlich zerriss. Ich ließ Friedrich einfach stehen. Hätte ich auch nur einen Satz zu ihm gesagt, die Folgen wären unabsehbar gewesen, und das war mir zu gefährlich. Lange würde ich hier nicht wohnen bleiben, so viel stand fest. Gleich am Montag würde ich mich auf die Suche nach einer neuen Unterkunft machen, sonst bestand die Gefahr, dass ich den Rest meines Daseins in Stadelheim, oder wie das Gefängnis hier hieß, verbrachte, verurteilt wegen Mordes, wenn auch im Affekt.
Ich konzentrierte mich also brav auf meine Atmung, stapfte in mein Zimmer, nicht ohne die Tür mit Nachdruck zu schließen, und legte mich aufs Bett, um Vasco Rossi zu hören. Die Töne meiner Lieblingsmusik holten mich allmählich
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