Risotto Mit Otto
in der Wohnung nicht wohl fühlte, suchte ich das Weite und überlegte, Signor Colluti einen Besuch abzustatten. Ich hatte gestern Abend noch mal kurz mit meiner aufgeregten mamma telefoniert, die meinen noch viel aufgeregteren Vater kaum im Zaum hatte halten können, weil er den älteren Herrn, dem er so leichtsinnig sein Vertrauen geschenkt – und das Leben seiner Tochter anvertraut – hatte, immer noch nicht erreicht hatte. Irgendwie schaffte ich es, einem erneuten Gespräch und der damit einhergehenden Erklärungsnot aus dem Weg zu gehen, hatte inzwischen aber selbst ein schlechtes Gewissen. Lange konnte ich das Spiel hier sowieso nicht mehr durchhalten, denn ich zockte mit einem denkbar schlechten Blatt.
Also schlenderte ich vor zum Harras – da es nur geradeaus ging, bestand kaum Gefahr, dass ich mich verlief – und setzte mich in die U-Bahn, um nach Neuhausen zu fahren. Den Plan vom Münchner Schnellbahnnetz, den Isabelle mir aus dem Internet ausgedruckt hatte, auseinandergefaltet in der Hand, saß ich da und zählte die Haltestellen bis zum Sendlinger Tor, wo ich umsteigen musste. Ich schaffte es tatsächlich, nicht Richtung Mangfallplatz zu fahren, sondern ohne Fehlversuch in die Bahn einzusteigen, die mich zum Rotkreuzplatz brachte.
Vorbei an wunderschönen Straßenzügen mit prächtigen, renovierten Altbauten lief ich in Richtung des Schlosses, wo Signor Colluti am Tizianplatz wohnte. Die Anwesen wurden immer herrschaftlicher, in den Gärten standen zum Teil uralte, richtig hohe Buchen und Tannen, und das Kopfsteinpflaster und die vielen Bäume am Straßenrand machten es mir schwer, zu glauben, dass ich noch immer mitten in München war. Das mehrgeschossige Haus, in dem mein vermeintlicher Aufpasser wohnte, wirkte mit all den Erkern und Türmchen fast schon wie ein kleines Minischloss, und der Eingang, der durch einen mit bunten Sommerblumen wild bewachsenen Garten führte, war mit einem schweren grünen Eisentor verschlossen.
Leicht eingeschüchtert drückte ich auf die Klingel, auf der kein Name, sondern nur die Initialen M. C. für Marcello Colluti standen. Eine Weile tat sich gar nichts, und plötzlich überkam mich ein mulmiges Gefühl. Einerseits war ich gespannt, was mich erwartete, andererseits hatte ich Angst, dem Mafioso vom Bahnhof wiederzubegegnen. Was, wenn er mich erkannte? Ich wollte mich gerade umdrehen und wieder gehen, da knarzte es endlich vor mir in der steinernen Mauer, und durch den eingelassenen Lautsprecher ertönte eine erstaunlich junge Stimme.
»Wer ist da?«
Ich zögerte, doch dann nannte ich meinen Namen und sagte, ich wolle mit Signor Colluti sprechen.
»Moment bitte.« Danach Stille.
Ich stand da wie bestellt und nicht abgeholt und wartete. Nachdem ich im Kopf schon dreimal die Strecke nach Sendling zurückgefahren war und die einzelnen Haltestellen vom Sendlinger Tor bis zum Harras im Kopf aufgesagt hatte, ertönte der Türsummer.
Ich drückte das mannshohe Tor auf und ging mit gemischten Gefühlen auf das Haus zu. Alles wirkte wie im Dornröschenschlaf. Vielleicht lag es an den verwilderten Rosen, die sich gleich neben der Eingangstür emporrankten, oder daran, dass viele der Fensterläden geschlossen waren – ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass mir dieser Ort, so schön er war, auf gewisse Weise unheimlich erschien.
Da die Haustür angelehnt war, drückte ich sie einfach auf und trat in eine dunkle quadratische Diele mit einer Eichenholzgarderobe, neben der ein länglicher Flur begann. Die Luft roch abgestanden und leicht muffig, den Gang erhellte eine kugelförmige Glaslampe, die schon bessere Tage gesehen hatte.
»Signor Colluti?«, fragte ich zögerlich.
»Hier«, ertönte eine leise Stimme aus einem der angrenzenden Zimmer.
Ich hielt inne. Das war eindeutig nicht die Stimme aus dem Lautsprecher von eben, sondern eine, die älter und schwächer klang. Erschöpft.
Langsam trat ich näher und erstarrte nur einen Meter weiter zur Salzsäule, als ein Mann aus der Tür direkt vor mir trat und mir zunickte. Aiuto . Mein Fluchtreflex war augenblicklich aktiviert, und ich verteufelte mich für die Schnapsidee, hierherzukommen und dem alten Mann einen Besuch abzustatten.
»Kommen Sie doch herein. Signor Colluti erwartet Sie.«
Ich starrte ihn an, als hätte er mich gerade dazu aufgefordert, meine geliebte nonna an den Teufel zu verkaufen. Dass auch er dieser seltsamen Siezeritis verfallen zu sein schien, nahm ich in meiner Panik nicht mal zur
Weitere Kostenlose Bücher