Risotto Mit Otto
Kenntnis. Vielmehr war ich beherrscht von einem einzigen Gedanken: Dio mio, das ist er. Der Mafioso vom Hauptbahnhof.
Noch ehe ich den ungeordneten Rückzug antreten konnte, hörte ich erneut die schwächelnde Stimme, die zu Signor Colluti zu gehören schien.
»Komm nur, mein Kind.«
»Buon giorno« , flüsterte ich und zwängte mich zwischen dem Alptraum meiner schlaflosen Nächte und dem Türrahmen in den Raum.
Signor Colluti ruhte, perfekt gekleidet mit Krawatte, Einstecktüchlein und blankpolierten Schuhen, in einem in die Jahre gekommenen Ohrensessel mit abgewetztem dunkelbraunem Leder und mächtigen Armlehnen. Der alte Herr wirkte extrem klein und schmächtig in dem Ungetüm und war offensichtlich nicht bei bester Gesundheit. Mir war auf den ersten Blick klar, dass er viel zu schwach gewesen war, um mich am Bahnhof abzuholen, und daher seinen was auch immer geschickt hatte.
»Möchten Sie vielleicht einen Tee?«
Die Frage des Mafioso ließ mich zusammenzucken. Zwar trug er die obligatorische Sonnenbrille sogar im Haus, aber er hatte sie nach oben in die gegelten Haare geschoben, so dass ich einen Blick auf seine kalten, dunklen Augen werfen konnte. Ängstlich forschte ich darin nach einem Anzeichen, aber er ließ sich durch nichts anmerken, ob er mich erkannt hatte.
»Nein, danke«, sagte ich und blieb wie verloren in dem Raum stehen.
»Nimm Platz, gioia «, sagte Signor Colluti kaum hörbar.
Ich leistete der Aufforderung Folge und setzte mich auf die Kante des Sofas, das dem Sessel gegenüberstand, woraufhin der Mafioso sich diskret zurückzog, nicht ohne mir mit einem hämischen Grinsen zuzuzwinkern. Puh!
Seltsamerweise fragte der alte Herr mich weder, warum ich nicht gekommen oder ob mir etwas passiert sei, noch wollte er sonst etwas von mir wissen, und auch sein Scherge hatte mich nicht – wie befürchtet – mit vorgehaltener Waffe bedroht. Der alte Herr fing einfach an, mit mir zu plaudern, als wäre ich eine entfernte alte Bekannte, die auf ein Tässchen Tee vorbeischaute.
Hier hätte ich wohnen sollen?, ging es mir durch den Kopf. Keine halbe Stunde hätte ich es in diesem erdrückenden Mief ausgehalten – so viel war sicher. Damit entfiel auch die Option, doch zu Signor Colluti zu ziehen, wenn Jan zurückkam und wieder in sein Zimmer wollte, und ehrlich gesagt war ich angesichts der Umstände alles andere als traurig darüber.
Nach einer Weile nahm ich meinen Mut zusammen und lenkte das Gespräch auf unser nicht zustande gekommenes Mietverhältnis.
»Wissen Sie«, setzte ich zu einer Erklärung an und rutschte unbeholfen auf dem Sofa herum, »ich habe ein tolles Zimmer gefunden und würde dort gerne bleiben. Das Problem ist nur: meine Eltern …«
»Verstehe.«
Ich erklärte ihm mein Dilemma und war zutiefst erleichtert, als er überaus verständnisvoll reagierte und sogar auf meinen nächsten Vorschlag einging, was ich kaum zu hoffen gewagt hatte.
Eine Minute später hielt ich mir mein Handy ans Ohr und wartete nervös darauf, dass jemand abnahm.
» Babbo, sì, ich bin’s, Angela. Alles bestens, na klar. Ich sitze hier mit Signor Colluti bei einer Tasse Tee. Du wolltest ihn doch unbedingt mal sprechen, sì, sì . Warte, ich gebe ihn dir.«
Damit reichte ich den Hörer weiter an den alten Herrn, der seine Sache wirklich hervorragend machte und es schaffte, meinen sonst nicht gerade zur Hysterie neigenden, vor Besorgnis jedoch hyperventilierenden babbo zu beruhigen. Er schwärmte von seiner netten Untermieterin und redete eine ganze Weile auf meinen Vater ein. Ich hörte den Gebührenzähler förmlich ticken, aber die Sache war es mir wert. Damit hatte ich erst mal für eine ganze Weile Ruhe, und danach konnte ich mir immer noch überlegen, wie ich meinen Eltern die Wahrheit nahebrachte. Über meine Lippen war bisher jedenfalls kein einziges unwahres Wort gekommen. Das Lügen überließ ich schön Signor Colluti.
»Grazie mille« , bedankte ich mich artig, nachdem er aufgelegt hatte.
»Für so ein schönes Kind wie dich gerne.« Er grinste verschmitzt.
Ich erhob mich vom Sofa. »So, ich muss dann jetzt los.«
» Ciao bella, und besuch mich bald mal wieder. Ich würde mich freuen.«
»Selbstverständlich«, erwiderte ich erleichtert und lief beschwingt nach draußen.
Den Mafioso bekam ich zum Glück nicht mehr zu Gesicht.
Das war ja mal richtig großartig gelaufen. Als ich wieder in der U-Bahn saß, klopfte ich mir innerlich selbst auf die Schulter. Ich war hochzufrieden mit
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