Risotto Mit Otto
entkommen konnte.
Frau Griesmayer kam ihrer Bürgerpflicht nach und sagte: »Das Frollein wohnt ganz sicher nicht hier. Ich kenne alle Leute im Haus, das wüsste ich.«
»Aber …« Ich kam nicht zu Wort.
»Aha, keine Deutsche«, stellte der Beamte mit Kennerblick auf meinen italienischen Ausweis fest. »Am besten, wir nehmen Sie mit auf die Wache, dann sehen wir weiter.« Dann wandte er sich an seinen Kollegen: »Du befragst bitte noch mal die Dame hier, damit wir ihre Aussage zu Protokoll nehmen können.«
»Genau, sperren’s diese Person ein.« Frau Griesmayer schien von der bayerischen Staatsgewalt schwer begeistert.
Der Schweiß brach mir aus allen Poren. Wie sollte ich das nur meinen Eltern erklären? Die glaubten mich doch in bester Obhut bei Signor Colluti. Wer sonst sollte mir jetzt beistehen? Friedrich ganz bestimmt nicht, und von den M&Ms hatte ich leider keine Handynummer, ich Idiotin. Höchstens Beate …
»Dürfte ich vielleicht mal telefonieren?«, fragte ich.
»Nein.«
»Ich kann Ihnen das alles erklären.«
Der Polizist musterte mich skeptisch und meinte: »Na, da bin ich aber mal gespannt.«
»Also, ich komme aus Riccione …«
»Das habe ich in Ihrem Ausweis schon gelesen, und jetzt begleiten Sie mich bitte, wir werden das auf der Wache klären, nicht hier im Treppenhaus.«
»Moment, aber …«
»Nix aber, mitkommen!«
Gerade packte mich der Beamte am Arm, um mir Handschellen anzulegen, da sprintete ein junger, dunkelhaariger Typ in Outdoorhose und Funktionsshirt die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal, uns direkt entgegen. Verwundert betrachtete er die seltsame Versammlung und zog seine Basecap tiefer in die Stirn, da stürzte auch schon Frau Griesmayer auf ihn zu.
»Mei, Herr Otto«, rief sie, »gut, dass Sie kommen. Beinahe wäre in die Wohnung von den jungen Burschen bei Ihnen gegenüber eingebrochen worden.« Sie atmete schwer angesichts der ungeheuerlichen Mitteilung und deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf mich. »Die da war’s.«
Abwehrend hob ich die freie Hand. » No, no, das ist alles ein Missverständnis«, begann ich von Neuem, »ich wohne hier.« Hilfesuchend sah ich den Neuankömmling mit großen Augen an – die hatten ihre Wirkung schließlich noch immer getan –, in der absurden Hoffnung, er möge sich irgendetwas einfallen lassen und mich vor der drohenden Verhaftung bewahren.
Ich vermutete, dass es sich bei dem sportlichen, gutgebauten Studenten um Otto handelte, meinetwegen auch Herr Otto, der mit Beate und Isabelle zusammenwohnte. Und da heute offenbar doch mein Glückstag war, lag ich richtig.
Herr Otto, der bisher ratlos von einem zum anderen geblickt hatte, schien tatsächlich ein echter Blitzmerker zu sein. Denn nun hellte sich seine Miene auf, und er schüttelte heftig den Kopf, während er einen Schritt auf den Polizisten zu machte und ihm die Hand entgegenstreckte.
Wenn ich bei meinem ersten Zusammentreffen mit Isabelle geahnt hätte, dass diese von mir spöttisch beäugte Geste mir einmal den Hintern retten würde, hätte ich ihr garantiert die Hand geschüttelt, bis sie abgefallen wäre.
»Gruber, Otto, mein Name«, stellte er sich kurz vor, wies sich aus und tat kurz und bündig seinen Eindruck von der Lage kund. »Das hier ist tatsächlich ein Missverständnis, ich kenne die junge Dame.«
Mit offenem Mund starrte ich ihn an und konnte kaum glauben, was er da gerade gesagt hatte. Wir kannten uns? Interessant … Aber ich wollte angesichts meiner Lage nicht kleinlich sein und nickte eifrig.
»Sie heißt Angela, kommt aus Riccione und macht ein Auslandssemester an der Uni. Sie wohnt seit einer knappen Woche hier.« Im Brustton der Überzeugung tat er Dinge über mich kund, die er ganz sicher nicht von mir hatte.
Sei’s drum, dachte ich und warf der griesgrämigen Frau Griesmayer einen triumphierenden Blick zu, als der Polizist sich anschickte, die Handschellen wieder wegzustecken. Meine selbstsichere Fassade hielt genau so lange, bis die neugierige Nachbarin und die beiden Beamten verschwunden waren, dann brach ich in Tränen aus und warf mich Herrn Otto schluchzend in die starken Arme. Ade, Contenance!
Als der Gruber-Otto mir zu Ehren drei Tage später eines seiner berühmten Risotto-Essen veranstaltete, hatte ich nicht nur meine Contenance längst wiedergefunden, sondern mich auch von den M&Ms wegen meiner Blödheit zur Genüge foppen und von Beate aufklären lassen, dass Otto keinesfalls sein Nachname war, wie
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