Risotto Mit Otto
schützenden Wänden meines Zimmers, telefonierte ich erst mal mit Valeria und ließ mich von ihr trösten. Ich hätte glatt den schicken neuen Femme-Rouge-Lippenstift von Hourglass, den ich mir erst neulich bei Hautnah von Ludwig Beck gekauft hatte, dafür gegeben, wenn sie nur bei mir gewesen wäre. Doch leider war sie in der Agentur und konnte nur schnell auf eine Zigarette nach draußen gehen, um kurz mit mir zu reden.
Am liebsten hätte ich mich in den nächstbesten Zug gesetzt und wäre zurück nach Hause gefahren – zu meiner famiglia . Ich vermisste sie alle schrecklich, meine mamma, die jeder noch so aussichtslosen Situation etwas Positives abzugewinnen vermochte, babbo, der für alles eine Lösung wusste und mir bisher noch jedes Mal den Hintern gerettet hatte, und erst recht meine nonna, die alle Sorgen und Nöte einfach wegkochte. Selbst die nervigen Zwillinge und ihre ständigen Streitereien fehlten mir.
In der WG war es immer so still, oft waren die Türen der Zimmer zu, und jeder machte so sein Ding. Bei Friedrich war ich um jedes Zusammentreffen froh, das um Haaresbreite nicht stattfand, und ging ihm oft genug sogar bewusst aus dem Weg. Aber auch die M&Ms sah ich manchmal tagelang nicht, und wenn, dann oft nur zwischen Tür und Angel. Sie waren wirklich sehr nett, aber mit ihrem Blumenladen und sonstigen Aktivitäten extrem eingespannt und kaum zu Hause. Ein jeder hatte eben genug mit sich zu tun und scherte sich nicht weiter um die anderen. Zwar hatte ich mich anfangs sehr über die Unkompliziertheit von Marcus und Mike gefreut, der ich letztlich auch Jans Zimmer und diese schicke WG zu verdanken hatte, doch nun hatte ich an der Kehrseite der Medaille ordentlich zu knabbern.
Gemeinschaftssinn gab es hier nicht, da musste ich schon rüber zu Isabelle, Beate und Otto gehen. Dort war’s zwar unordentlich, chaotisch und vor allem dreckig – der Putzplan, den Isabelle irgendwann mal aufgestellt hatte, hing, glaub ich, nur zur Deko im Flur –, aber dafür menschelte es nebenan. Die drei saßen oft noch abends zwischen dreckigen Geschirrstapeln und überquellenden Mülleimern in der Küche zusammen, wo die vielen leeren Flaschen Augustiner Edelstoff und der übervolle Aschenbecher von den hitzigen nächtlichen Diskussionen zeugten. Vielleicht wirkt sich Ordnung ja negativ auf Eigenschaften wie Mitgefühl, Anteilnahme, Wärme und damit auf das gesamte Seelenleben aus?, überlegte ich. Denn so schön und perfekt dagegen unsere Wohnung eingerichtet war, so steril und kalt war sie auch. Kalt, steril und leblos.
Wie lebendig ging es dagegen bei uns zu Hause in Riccione zu. Da war immer was los, ständig hockten alle aufeinander, jeder kümmerte sich mehr um die Belange der anderen als um die eigenen, und zweimal am Tag saß die komplette Familie beim Essen zusammen, damit alle schön gepflegt durcheinanderreden konnten. Sosehr mich all das und vor allem die Fürsorge meiner Eltern immer gestört hatten, so sehr wünschte ich mir nun ihre Aufmerksamkeit, ihren Schutz und ihren Rat – auch wenn ich in Italien selbst für Geld nicht gemacht hätte, was sie mir sagten.
Hätte es doch bloß mit zia Ivana und zio Fabio in Berlin geklappt, ich wollte ja von Anfang an nicht in dieses München, schimpfte ich stumm vor mich hin. Mein Blick fiel auf die Postkarte, die ich letzte Woche aus einer Kneipe mitgenommen und über dem Schreibtisch aufgehängt hatte. »München ist immer noch besser als Stuttgart«, stand schwarz auf orange darauf. Wenn das stimmte, wollte ich lieber mal nicht wissen, wie es den armen Leuten in Stuttgart erging. Toller Trost, dachte ich und holte ein neues Päckchen Taschentücher aus dem Schrank, um mir kräftig die Nase zu schnäuzen und die trüben Gedanken gleich mit im Papierkorb zu entsorgen. Zwar konnte ich danach, mal abgesehen von meiner leichten Erkältung, wieder frei atmen, doch das mit den trüben Gedanken sollte ein frommer Wunsch bleiben.
Bei Berlin musste ich sofort auch wieder an Ben denken, diesen miesen verheirateten Finanzjongleur, der ganz offenbar nicht nur mit dem Geld anderer Leute, sondern auch mit Frauenherzen sehr leichtfertig umging. Er gab einfach nicht auf und versuchte mich immer wieder zu erreichen, doch ich hatte keine Lust auf neue billige Ausreden von der Stange und ignorierte seine Anrufe.
»Ach Ben«, seufzte ich. »Wenn du doch bloß nicht so ein Riesenarschloch wärst.«
Die winzige Spur Wehmut, die sich in meine Gedanken mischte, ließ mir
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