Risotto Mit Otto
Legic-Karte – nicht.
Madonna mia, Otto würde mir den Hals umdrehen.
In der Schlange hinter mir wurden die ersten Unmutsäußerungen laut, und auch die Dame in dem weißen Kittel hinter der Kasse hatte zunehmend Mühe, ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu behalten. Ich wäre am liebsten einfach nur im Erdboden versunken, doch wie immer, wenn Holland in Not war, wollte sich der dämliche Spalt einfach nicht auftun. Da fiel mir ein, dass ich vorhin auf der Treppe hektisch mein Handy hervorgekramt hatte, um dem seltsamen Anmachversuch von Herrn Ganz Originell zu entkommen. Vielleicht war die Karte ja dabei herausgefallen? Ich ließ mein Tablett einfach stehen und drängte mich durch die hungrige Meute hinter mir.
»He!«, rief die Kassiererin, »Sie müssen noch bezahlen.«
Ich ließ sie rufen und kämpfte mich Stufe um Stufe nach unten, den Blick auf den Boden gerichtet. Und siehe da: Zwischen Turnschuhen, Sandalen, High Heels und Chucks entdeckte ich die vermisste Karte. Erleichtert ging ich in die Hocke, um sie aufzuheben, und stürmte die Treppe wieder hoch. Mein Tablett mit dem Kaiserschmarrn stand noch an Ort und Stelle, vermutlich inzwischen lauwarm. Am liebsten hätte ich mir einfach einen neuen geben lassen, aber das traute ich mich nicht. Kurz überlegte ich, ob ich theatralisch stolpern und das Tablett dabei fallen lassen sollte, um mir eine neue Portion zu erschleichen, doch dann entschied ich mich für einen stilvollen Abgang. Nachdem ich mir noch in aller Ruhe eine Serviette und Besteck aus dem bereitstehenden Wagen genommen und den drei Meckersäcken hinter mir so freundlich wie eben möglich klargemacht hatte, dass ich mich keineswegs noch mal ganz unten anstellen, sondern jetzt einfach nur bezahlen und dann endlich essen wollte, suchte ich nach den anderen. Zum Glück entdeckte ich die drei gleich und ließ mich mit einem tiefen Seufzen auf den letzten freien Stuhl fallen.
»Was ist los?«, fragte Beate. »Du bist ja total gestresst.«
Elin grinste. »Hast du wieder deinen italienischen Charme versprüht und dich mit der Küchenhilfe angelegt?«, feixte sie. Offenbar kannte sie mich inzwischen besser als ich sie.
»Ihr glaubt ja nicht, was mir eben passiert ist«, fing ich an. Dann erzählte ich ihnen mein peinliches Erlebnis mit der Legic-Karte in allen Einzelheiten, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass der Lockenkopf auf der Treppe der Grund allen Übels war. Dabei schmückte ich, klassisch italienisch, die Geschichte noch ein bisschen aus, indem ich mich über den Flirtkünstler so richtig schön lustig machte. Ich war gerade voll in Fahrt und bei der idiotischen Frage nach dem Apfelmusrezept angelangt, da blickte ich kurz von meinem inzwischen eiskalten Kaiserschmarrn auf.
Mit vor Schreck geweiteten Augen starrte ich direkt in ein Gesicht. Ein Gesicht, das vermutlich genauso entsetzt aussah wie meines. Der Blickkontakt dauerte gefühlte drei Stunden, dabei waren es vermutlich höchstens drei Sekunden – wenn überhaupt. Ich spürte, wie mir die Röte in die Wangen kroch und mich zu versengen drohte. Spürte, wie mir die Gesichtszüge entgleisten. Wie ich anfing zu zittern. Erdboden, tu dich auf, dachte ich zum zweiten Mal an diesem Tag. Aber das hatte vorhin ja auch schon nicht geklappt. Porca madonna e tutti santi, wieso hatte ich das nicht vorher gemerkt? Hatte ich denn Apfelmus auf den Augen?
»Was ist?«, fragte Isa amüsiert. »War der Kaiserschmarrn so matschig, dass er dir die Stimmbänder verklebt hat?« Dann stutzte sie und folgte meinem Blick.
Das Gesicht unseres Gegenübers glich einem Ferrari Testarossa, und das Grollen, das aus seiner Kehle drang, entsprach in etwa dem Röhren des Boliden, wenn man im ersten Gang auf achtzig Stundenkilometer beschleunigt.
Beschwichtigend wedelte ich mit beiden Händen und fing an zu stottern: »Das war bloß ein Scherz …«
Zu spät. Wortlos stand er auf und rannte davon, wobei er fast seinen Stuhl umgerissen hätte. Das noch halbvolle Tablett ließ er einfach stehen, offenbar war ihm meine Schilderung auf den Magen geschlagen. Während wir ihm nachsahen, machte es bei Elin plötzlich klick, und sie brach in schallendes Gelächter aus.
»Das war doch nicht etwa …«, begann sie.
Sie brauchte den Satz nicht zu vollenden. »Doch«, sagte ich nur, stand ebenfalls auf und sah zu, dass ich mich in die nächstbeste fettnäpfchenfreie Zone rettete – wo immer die auch sein mochte.
6.
»Gioca con me«
Wieder zu Hause, in den
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