Risotto Mit Otto
Augenbrauen. »Du? Sagst du nicht immer, Sport ist Mord?«
»Na jaaaaa …« Ich versuchte, Zeit zu schinden. Herr, wirf Hirn vom Himmel, flehte ich stumm, damit mir eine gute Ausrede einfällt. Doch heute schien er mir nicht gnädig zu sein.
»Und wieso duschst du überhaupt, bevor du zum Sport gehst? Macht man das in Italien so?«
Friedrich hatte inzwischen entschieden, dass ihm das Spektakel zu abgedroschen war, und die Szene kommentarlos, wenn auch kopfschüttelnd verlassen.
»Otto, bitte stell mir nicht so viele Fragen, du bringst mich ganz durcheinander«, versuchte ich es spontan mit einer neuen Taktik. »Ich bin wirklich total verzweifelt. Es wäre ein Riesendesaster für mich, wenn diese Datei nicht mehr auftaucht. Wie du dir denken kannst, habe ich natürlich keine Sicherheitskopie gemacht.«
Damit hatte ich ihn an der Angel. »Um Himmels willen«, sagte er nur und setzte sich tatsächlich wieder an meinen Schreibtisch.
Während Otto sich erneut meinem PC widmete, sprang ich im Hintergrund durchs Bild und packte meine Sporttasche. Was hätte ich denn sonst tun sollen? Ich würde die Tasche nachher einfach am Hauptbahnhof in ein Schließfach stecken und notfalls morgen abholen, sollte Ben mich später nach Hause bringen. Zwischendrin ging ich noch mal ins Bad, um mich zu schminken – deutlich dezenter als geplant, aber vielleicht konnte ich ja unterwegs noch mal nachtuschen.
Um genau 19.35 Uhr schlüpfte ich in den kurzen, engen schwarzen Seidenrock und das verführerisch tiefausgeschnittene, mit silbernen Pailletten besetzte Oberteil von D&G, in das ich mich auf den ersten Blick verliebt hatte. Darüber zog ich meinen weiten, alten Jogginganzug, mit dem ich in Italien nicht mal zum Müllrunterbringen vor die Tür gegangen wäre. Doch egal: Besondere Situationen erfordern nun mal besondere Maßnahmen.
Die High Heels warf ich einfach in die Sporttasche und zog stattdessen die Turnschuhe an, die Isabelle mir geliehen hatte, als ich mal im Vollrausch behauptet hatte, ich müsse mich dringend mehr bewegen und wolle mit dem Joggen anfangen. Ohne einen Blick in den Spiegel zu werfen, krönte ich mein Outfit mit meinem 800-Euro-Daunenmantel, unter dem nun die Bündchen der Jogginghose hervorlugten. Unmöglich!, entschied ich, schließlich konnte ich wohl kaum alle anderen Fahrgäste in der S-Bahn zum Aussteigen zwingen, nur damit mich niemand in diesem Aufzug sah. Ich kickte die Turnschuhe von den Füßen, holte meine gefütterten Winterstiefel und zog sie über die Hose. Wenn ich jetzt den Mantel zumachte, konnte niemand erkennen, was ich darunter trug. Perfekt!
So gerüstet, hastete ich in mein Zimmer, drückte Otto, der mir stolz verkündete, er habe das Problem so gut wie gelöst, einen bacino auf die Wange und versprach ihm, als Dankeschön demnächst mal wieder italienisch für ihn zu kochen, selbstverständlich mit allen Schikanen – zur Not auch Risotto. Dann stürmte ich aus der Tür zum S-Bahnhof und lief zeitgleich mit der S-Bahn, die zum Glück zehn Minuten Verspätung hatte, auf dem Bahnsteig ein. Damit war ich zwar einigermaßen spät dran, fand aber, dass ich den Zeitplan (inklusive der bereits einkalkulierten Verspätung natürlich) durchaus noch erfüllte – zumindest für eine Italienerin. Leider hatte ich nicht eingerechnet, dass ich erst noch zum Bahnhof musste, wo ich die Tasche einschließen, mich umziehen und nachschminken wollte, um dann noch die zwei Stationen mit der U 4 zum Odeonsplatz zu fahren.
Als ich perfekt gestylt und mit einem freudigen, erwartungsfrohen Lächeln auf den Lippen um Punkt 20.31 Uhr die komplett überfüllte Bar Cardinal betrat, empfing mich statt Ben, den ich an keinem der Tische entdeckte, obwohl ich den Raum ganze viermal abschritt, derselbe Kellner, der sich schon beim letzten Mal an meiner Pleite erfreut hatte.
»Das hier ist sicher für dich«, sagte er und hielt mir einen zusammengefalteten Zettel entgegen.
»Woher willst du das wissen?«, fragte ich empört.
»Pechvögel erkenne ich eben auf den ersten Blick«, meinte er süffisant und widmete sich wieder der langen Schlange von Bons, die unaufhörlich aus dem Drucker neben der riesigen Kaffeemaschine quollen.
Ohne ihn auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen, stöckelte ich so souverän wie nur möglich aus dem Laden und faltete den Zettel erst ein paar Meter weiter auseinander, die Packung Taschentücher griffbereit in der Hand, für den Fall, dass es mich wieder zerbröselte.
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